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Fragen und Antworten

 

 

 

 

Autorität, Autoritarismus und Antiautoritarismus

David Holbrook, M.D.

 

F: Was ist der Unterschied zwischen Autorität, Autoritarismus und Antiautoritarismus?

A: Der Psychiater Wilhelm Reich entdeckte und entwickelte ein Forschungsgebiet, das er „Orgonomie“ nannte. Die Orgonomie umfaßt eine Methode zur Untersuchung von Fragen der Mind-Body-Therapie, der Soziologie, der Biologie und der Physik. Um die Frage nach dem Wesen der Autorität zu beantworten, muß man zunächst Reichs Konzept des biopsychischen Apparats verstehen, der aus drei Schichten besteht. Reich erklärt, daß „diese [drei] Schichten der Charakterstruktur […] autonom funktionierende Ablagerungen der sozialen Entwicklung [sind]“ (1946, S. 11). Die tiefste der drei Schichten ist der Kern, ein Nukleus in der Mitte der Struktur. Der Kern ist natürlich und gesund: Reich schrieb, daß hinter den beiden äußeren Schichten, „in der Tiefe die natürliche Sozialität und Sexualität, die spontane Arbeitsfreude, die Liebesfähigkeit [leben und wirken]“ (1942, S. 175f).

Die äußerste Schicht der Psyche ist die oberflächliche Schicht. Dies ist die Schicht, die mit der Welt interagiert, und für die meisten neurotischen Menschen ist sie die einzige Schicht, die ihnen bewußt ist. Bei Gesunden hat die oberflächliche Schicht vollen Kontakt mit dem Kern. Im Gegensatz zum gesunden Menschen enthält die oberflächliche Schicht des neurotischen Menschen eine Mischung aus Kernkontakt und einem Abwehrsystem, das dazu dient, die mittlere Schicht einzudämmen und zu verbergen.

Die mittlere oder „sekundäre“ Schicht der Psyche liegt zwischen dem Kern und der oberflächlichen Schicht. Die mittlere Schicht enthält die destruktiven und neurotischen Aspekte der Psyche, das, was Reich „Panzer“ nannte.

Reich erkannte, daß die drei Schichten nicht nur für den Bereich der individuellen psychischen Funktionsweise gelten, sondern auch für den somatischen und sozialen Bereich. Im somatischen Bereich bestehen die drei Schichten hauptsächlich aus verschiedenen Aspekten des autonomen Nervensystems und bis zu einem gewissen Grad auch aus dem zentralen Nervensystem. Im sozialen Bereich entsprechen die drei Schichten der Funktionsweise des Individuums: der natürliche Kern gesunden sozialen Funktionen; die mittleren Schicht der sozialen Struktur die destruktiven, neurotischen und gepanzerten Aspekte; und die oberflächliche Schicht des sozialen Funktionierens ist die Schicht, die hoffentlich einen gewissen Kontakt mit dem Kern aufrechterhält, während sie gleichzeitig die destruktive mittlere Schicht des sozialen Systems zurückhält und verschleiert. Seit der Zeit Reichs haben die Orgonomen am American College of Orgonomy (ACO) das Verständnis der drei Schichten und ihre Anwendung auf Psyche, Soma und Gesellschaft weiterentwickelt.

Nachdem wir nun die drei Ebenen beschrieben haben, können wir dieses Konzept anwenden, um die Unterschiede zwischen Autorität, Autoritarismus und Antiautoritarismus zu beschreiben.

Wahre Autorität entsteht durch den Kontakt mit dem natürlichen und gesunden Kern (Konia, persönliche Mitteilung). Der Kern ist die Quelle des funktionellen Denkens. Funktionelles Denken bedeutet, auf eine Weise zu denken, die mit der Funktionsweise der Natur übereinstimmt (Konia, persönliche Mitteilung).

Konia (2008) definiert Autoritarismus wie folgt: „Autoritarismus: Das soziale System, das nach dem Prinzip der zwangsmoralischen Regulierung funktioniert. Die autoritäre Familie mit dem Vater an der Spitze wird im autoritären Staat reproduziert“ (2008, S. 453). Reich beschreibt die Beziehung zwischen dem Autoritarismus und den drei Schichten folgendermaßen: „Die patriarchalisch-autoritäre Ära der Menschheitsgeschichte hat versucht, die sekundären asozialen Triebe durch zwangsmoralische Verbote in Schach zu halten“ (1942, S. 175).

Konia (2008) definiert Antiautoritarismus folgendermaßen: „Das soziale System, das sich sowohl gegen neurotische (irrationale) als auch gegen rationale Autorität auf jeder Ebene der sozialen Organisation richtet“ (2008, S. 453).

Wir ersehen aus Dr. Konias Definition des Antiautoritarismus, daß dieser gewisserweise „das Kind mit dem Bade ausschütten“: Die antiautoritäre Person versäumt es, zwischen rationaler und irrationaler Autorität zu unterscheiden. Während sie beispielsweise die neurotischen, irrationalen Aspekte des Autoritarismus ablehnt, verkennt der Antiautoritäre die teilweise rationalen Elemente im Autoritarismus, die sich aus dem Kern ableiten. Dieses Teilverstehen des Kerns im Autoritarismus leitet sich aus der jahrtausendealten traditionellen autoritären Kultur und Erfahrung ab. Dem Antiautoritären hingegen fehlt das Verständnis des Kerns, so daß er wenig zu bieten hat, wenn es um die Frage geht, womit der Autoritarismus ersetzt werden soll.

Die Menschen sind manchmal verwirrt über die Position des ACO zur Autorität und glauben fälschlicherweise, daß das ACO sich nach „der guten alten Zeit“ des Autoritarismus sehnt. Diese Verwirrung beruht auf einem mangelnden Verständnis des Wesens wahrer Autorität. Um wahre Autorität zu verstehen, muß man das orgonomische Konzept von Gesundheit und funktionellem Denken verstehen, das auf dem Kontakt mit dem Kern beruht. Sowohl dem Autoritarismus als auch dem Antiautoritarismus fehlt ein umfassendes Verständnis des Kerns und seiner Funktionsweise in Individuen und Gesellschaften. Die Tragödie der heutigen Welt beruht auf dem Fehlen dieses Wissens.

Konia C 2008: The Emotional Plague. Princeton, NJ: A.C.O. Press
Reich W 1942: Die Funktion des Orgasmus. Fischer Taschenbuch
Reich W 1946: Die Massenpsychologie des Faschismus. Fischer Taschenbuch

 

 

zuletzt geändert
26.03.23

 

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