W W W . O R G O N O M I E . J I M D O S I T E . C O M

 

Artikel von David Holbrook, M.D.

 

 

 

 

Überlegungen und Fragen zu „Moralismus“, „Panzerung“, Geist, Körper, Physiologie, Vernunft, Gefühl und „Orgonomie“

David Holbrook, M.D.

 

„Orgonomie“ ist das Studium bestimmter Arten von Energiephänomenen in der Natur, auch beim Menschen. Wilhelm Reich (1897-1957), ein Psychiater, Soziologe und wissenschaftlicher Forscher, integrierte die von ihm und seinen Mitarbeitern durchgeführten Experimente in eine Energietheorie, die er „Orgonenergie“ nannte.

In der orgonomischen Psychologie und Soziologie wird manchmal von „Moralismus“ gesprochen, d. h. von der Tendenz der Menschen, unsere individuellen und gesellschaftlichen Versäumnisse als Versagen der Moral zu definieren, anstatt ein objektiveres und neutraleres Maß dafür zu finden, was genau in uns selbst und in unseren Kulturen falsch läuft.

Ich betrachte den Moralismus als ein unvollständiges und falsches Verständnis des menschlichen Verhaltens. Ich denke, daß er, wie so viele andere Haltungen gegenüber menschlichem Verhalten, die Macht des bewußten Verstandes, praktisch alles zu überwinden, unrealistisch überbetont, obwohl alle Evidenz, die wir jeden Tag und im Laufe der Menschheitsgeschichte direkt vor Augen haben, zeigen, daß die Vernunft und der bewußte Verstand oft hilflos erscheinen, wenn es darum geht, viele menschliche Probleme zu lösen.

Ich glaube, daß Moralismus eine Form des Wunschdenkens ist angesichts der vielen Beweise, die zeigen, daß unser Versagen nicht notwendigerweise ein Versagen des Willens oder der bewußten Entscheidung ist, die wir moralisch beurteilen sollten, sondern daß es sich vielmehr um ein Versagen unserer Fähigkeit handelt, auf gesunde Weise zu funktionieren, sowohl emotional als auch in Bezug auf unsere Fähigkeit zu denken.

Ich denke, Moralismus ist schädlich. Er wird zur Quelle vieler Schuldgefühle, die keinem konstruktiven Zweck dienen und den Menschen im Allgemeinen nicht helfen, sondern die Probleme sogar verschlimmern können. Diese Art von Moralismus zeigt sich auch in der Art und Weise, wie wir uns gegenseitig beurteilen, zum Beispiel auf der Grundlage unserer unterschiedlichen politischen Überzeugungen, wo wir, anstatt zu versuchen zu verstehen, was tatsächlich vor sich geht, über die Motive der Menschen spekulieren und sie verurteilen.

Ich glaube nicht, daß viele unserer Mißerfolge darauf zurückzuführen wären, daß wir nicht „moralisch“ genug sind oder uns nicht genug anstrengen.

Moralismus ist wie eine Form des Drängens. Manchmal hilft es den Menschen, wenn sie gedrängt werden, und wir alle müssen uns manchmal selbst drängen. Aber sehr oft gelingt es nicht, uns selbst oder andere zu drängen, oder es ist sogar kontraproduktiv.

Die Ideologie des Moralismus überschätzt die Fähigkeit des bewußten Willens. Ich glaube nicht, daß wir menschliche Probleme mit unrealistischen Idealen lösen können. Moralismus gibt es seit Tausenden von Jahren, und vielleicht ist er das Beste, was wir tun können, aber die Ergebnisse waren nicht großartig.

Moral hat damit zu tun, daß wir Entscheidungen treffen, die für uns selbst und andere gesund sind. Aber was befähigt uns, moralisch zu sein? Diese Frage führt zu komplexen Fragen über das Wesen der Vernunft und ihre Beziehung zu Gefühlen und dem Willen.

Eine Frage lautet: Inwieweit sind Vernunft und Gefühl getrennt? Und das hängt zum Teil mit der Frage zusammen, inwieweit Geist und Körper voneinander getrennt sind. Und wenn Geist und Körper getrennte Dinge sind, was ist dann „der Geist in der Maschine“, mit anderen Worten, was ist es, das unseren Geist und Körper dazu bringt, Dinge in Koordination miteinander zu tun?

Reich (1937/1984) behauptete, in seinen bioelektrischen Experimenten zu Lust und Angst nachgewiesen zu haben, daß „es eine psychische Energie gibt“, die er schließlich als einen Aspekt der Orgonenergie formulierte. Er zeigte, daß die Veränderungen des Spannungspotentials auf der Hautoberfläche bei Lust- und Angstzuständen auf subjektiven Gemütszuständen beruhen und nicht einfach auf mechanischen Phänomenen. Wurde also die Haut einer Versuchsperson mit einer Feder gestreichelt, so erhöhte sich das Spannungspotential auf der Hautoberfläche nur dann, wenn die Versuchsperson den Federstrich als angenehm empfand. Wenn die Versuchsperson den Federstrich als unangenehm empfand, zeigte das Oszilloskop im Nebenraum (das von einem Forscher abgelesen wurde, der nicht wußte, was die Versuchsperson berichtete) eher eine Abnahme des Spannungspotentials als eine Zunahme. Reich behauptete, dies sei ein Beweis dafür, daß die Funktionsweise des „Geistes“, auch im Körper und nicht nur im Gehirn, auf einer Form von elektrischer Energie beruht. Er beobachtete auch, daß die Wellenformen auf dem Oszilloskop eine andere Qualität aufwiesen als die Wellenformen, die man aus einer Steckdose ablesen würde. Daraus schloß er, daß diese „elektrische“ Aktivität etwas anderes war als die Art von Elektrizität, die man in herkömmlichen elektrischen Systemen findet. Es handelte sich um Bioelektrizität, die sich auf eine etwas andere Art und Weise verhielt.

Im weiteren Verlauf seiner Arbeit kam er zu dem Schluß, daß sowohl Gedanken als auch Emotionen Aspekte der Strömung von biologischer Energie (Orgonenergie) im gesamten Körper sind, nicht nur in den „elektrischen“ Schaltkreisen des Gehirns, und daß diese Energieströmung auch eine Qualität der Energie in der Natur im allgemeinen ist, sogar in meteorologischen und astronomischen Phänomenen. Wir werden also durch die Bewegung der Energie, die in der Natur im allgemeinen zu finden ist, zu Gedanken und Emotionen „bewegt“, und zwar sowohl innerhalb unserer eigenen individuellen biologischen Membranen (die im Wesentlichen der somatische Aspekt dessen sind, was wir als „das Ich“ bezeichnen würden, das teilweise bewußt ist), als auch außerhalb dieser biologischen Membranen in der Natur, mit der wir ständig in Wechselwirkung stehen.

Reich entwickelte ein Konzept, das er als „Panzer“ bezeichnete und das sowohl psychologische als auch somatische Blockaden oder Spannungen beschreibt, die die freie Bewegung der Orgonenergie behindern, was wiederum das gesunde Funktionieren sowohl unseres Denkvermögens als auch unserer Emotionen beeinträchtigen kann.

Gepanzertes Denken ist nicht rational, einschließlich der gepanzerten Idee, daß Rationalismus allein jemals die Antwort auf alles sein kann. Mit „Rationalismus“ meine ich die Vorstellung, daß die Vernunft völlig getrennt ist von Emotionen und anderen damit verbundenen psychologischen Phänomenen oder es sein kann.

Die „Vernunft“ kann ebenso leicht im Dienste der Irrationalität wie im Dienste der Rationalität eingesetzt werden, z.B. wenn es um Ideologien geht (einschließlich vieler weitverbreiteter traditioneller und moderner Ideologien), an denen Menschen festhalten, obwohl es Beweise dafür gibt, daß diese Ideologien nicht objektiv sind. Deshalb glaube ich, daß intelligente Menschen das Potential haben, tiefgreifender neurotisch oder psychotisch zu sein als dumme Menschen. Dumme Menschen haben in gewisser Weise nicht die Intelligenz, sich so weit von der Realität zu entfernen. Ich glaube, daß sie in vielen Fällen dazu neigen, die Dinge klarer zu sehen! Dies ist also ein Beispiel dafür, daß Vernunft (Intelligenz) manchmal nicht so vernünftig sein muß!

Ich denke, man könnte argumentieren, daß die psychologische „Verleugnung“ (das Ignorieren oder Verleugnen von Dingen, die an uns selbst wahr sind) eigentlich auch eine Form von gepanzerter Vernunft ist.

Das Gehirn kann ebenso leicht als Werkzeug der Unvernunft wie als Werkzeug der Rationalität eingesetzt werden.

Im allgemeinen kann man wohl sagen, daß die Emotionen die Vernunft mehr bestimmen und beeinflussen als die Vernunft die Emotionen. Es ist also von entscheidender Bedeutung für uns, die Emotionen zu verstehen.

Wenn Verstand und Gefühl integriert sind (wenn Geist und Körper integriert sind), arbeiten beide in Harmonie und in dieselbe Richtung und verstärken sich gegenseitig. In diesem Fall sind sowohl das Denken als auch das Fühlen klar und gesund.

Wenn Vernunft und Gefühl miteinander in Konflikt geraten, werden beide verzerrt, und gemeinhin siegt unter diesen Bedingungen der neurotische Aspekt des Gefühls, und die Vernunft wird zu seinem Sklaven und Verschwörer.

Ich denke, daß diese Art von Diskussion auch einige der Probleme aufzeigt, die entstehen, wenn man Vernunft und Emotionen als völlig getrennte Dinge begreift. Und damit eröffnet sich eine ganz andere Landschaft von Versuchen der Annäherung an das Problem.

Reich verwendet oft das Wort „Kontakt“, um Prozesse der Integration im psychischen (psychologischen) und somatischen Bereich zu beschreiben. Natürlich erfordert ein wirklich rationales Denken und Fühlen ein hohes Maß an Integration. Man muß mit sich selbst und seiner Umwelt „in Kontakt“ sein. In der somatischen Angst müssen auch die verschiedenen physiologischen Funktionen des Körpers miteinander integriert (in Kontakt) sein.

Der Mangel an Kontakt in der Psyche spiegelt vermutlich den Mangel an Kontakt in den Körperfunktionen aufgrund der somatischen Panzerung wider. Es ist wahrscheinlich, daß der gesamte Körper als ein Organ des Geistes funktioniert und der Geist nicht nur ein Produkt des Gehirns ist. Der Mensch kann also nicht wirklich kontaktfreudig (wirklich rational) denken, wenn sein Körper nicht somatisch kontaktfreudig ist (mit anderen Worten, die Organsysteme funktionieren gut, in einer integrierten Weise mit anderen Organen). Und dazu gehört auch das Gehirn, das natürlich auch ein physisches Organ ist.

Das Vegetative Nervensystem (VNS) ist der Teil des Nervensystems, der größtenteils oder teilweise unbewußte Phänomene im Körper steuert, wie die Atmung, die Herzfunktion, das Gefäßsystem und andere Systeme, sowie die physischen Phänomene, die mit Emotionen und dem Erleben von Emotionen verbunden sind. Das VNS steuert demnach den Kapillardurchmesser im Gehirn wie auch im Körper, was bedeutet, daß bestimmte Zentren des Gehirns mehr oder weniger durchblutet werden, je nach den Panzerungsmustern des Gefäßsystems im Gehirn selbst. Und Hirnstudien zeigen Entsprechendes: z.B. verminderte Durchblutung bestimmter Hirnregionen bei Depressionen oder ADHS oder was auch immer. Aber es scheint, daß die Forscher immer die logische Schlußfolgerung vermeiden, daß der Ursprung dieser Dinge eher emotionaler Natur ist als eine zufällige chemische Wirkung von Neurotransmittern.

Die Bewegung von Energie (sowohl psychischer als auch somatischer Energie) steht an erster Stelle, die Materie (Neurotransmitter) an zweiter.

Ich werde hier vorerst einhalten, denn diese Diskussion könnte ewig weitergehen. Es ist klar, daß meine Diskussion hier unvollständig ist und daß das Ende meiner Diskussion hier abrupt ist und einen unvollendeten Eindruck macht. Ich glaube, ich habe nicht deutlich genug gemacht, auf welche Weise all diese verschiedenen Themen für ich zusammenhängen. Es ist klar, daß dies erst der Anfang einer Diskussion über diese Themen ist. Vielleicht brauche ich eine Pause, um über das, was ich hier geschrieben habe, nachzudenken und zu versuchen, es besser und auch umfassender zu integrieren.

Ich habe versucht, einige der Beziehungen zwischen den verschiedenen Themen aufzuzeigen, was eine schwierige Aufgabe ist, die ein hohes Maß an Integration erfordert. Es ist daher unvermeidlich, daß meine Versuche, diese verschiedenen Dinge zu integrieren, zumindest in gewissem Maße und sehr wahrscheinlich in sehr hohem Maße scheitern werden, wofür ich mich entschuldige. Mein übergeordnetes Ziel ist es, zumindest auf die möglichen Beziehungen zwischen diesen verschiedenen Dingen hinzuweisen, was natürlich weitere Diskussionen und Überlegungen erfordert.

 

Literatur

  • Wilhelm Reich 1937/1984: Die bio-elektrische Untersuchung von Sexualität und Angst, Frankfurt: Nexus Verlag

 

zuletzt geändert
08.01.25

 

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