WWW.ORGONOMIE.NET
Impressum Nachrichtenbrief Jerome Eden
ORANUR Kinder der Zukunft Orgonometrie Buchbesprechungen
Chronik Glossar Bibliographie Links

 

ORGONOMISCHER
FUNKTIONALISMUS

 

 

Die folgenden Ausführungen stehen zum Aufsatz Hans Hass und der energetische Funktionalismus in einem ähnlichen Verhältnis wie Reichs Buch Die kosmische Überlagerung zu seinem Buch Äther, Gott und Teufel. Auch sie sollen als Einführung in die Orgonometrie dienen. Es geht um eine neue, funktionelle Art, die Welt zu betrachten, die aus der Sackgasse herausführt, in die die alten Denktechniken stets geführt haben.

 

 

BIOLOGISCHE ENTWICKLUNG AUS ORGONOMISCHER SICHT

Peter Nasselstein

 

Einleitung

Die biologische Entwicklung umfaßt phylo-, onto- und "psycho"-genetische Aspekte, mit denen sich beispielsweise Paläontologie, vergleichende Anatomie und Physiologie, Embryologie und Ethologie befassen. Heute versucht man all diese Prozesse mit Hilfe der Genetik zu erklären, beispielsweise entwicklungsbiologische Vorgänge mit "homöotischen Genen", die bei Fruchtfliegen kaum anders funktionieren als beim Menschen. Mit der Entdeckung der Orgonenergie und ihrer Gesetzmäßigkeiten liegt jedoch bereits seit 70 Jahren ein weit umfassenderer Erklärungsansatz vor. Die Orgonenergie und ihre Funktionen bestimmen alle biologischen und psychischen Entwicklungsprozesse. Dabei geht es im einzelnen stets um die Integration von einzelnen Teilpulsationen zu einer umfassenden Gesamtpulsation.

Zunächst wird gezeigt, daß Freuds Libido-Theorie ein genuin bio-energetischer Ansatz war, der darüber hinaus auf eine funktionalistische Weise die psychische Entwicklung des Menschen mit dem Stammbaum der Lebewesen verknüpfte. Im Rückgriff auf damals aktuelle Forschungsergebnisse gelang es Reich die vielen Fragwürdigkeiten dieses Konzepts zu überwinden und mit der Entdeckung der Orgonenergie auf eine neue Grundlage zu stellen. Gleichzeitig erweist sich die Entwicklung der Biologie, insbesondere der Primatologie, die zu Reichs Zeiten noch in den Kinderschuhen lag, als eine Herausforderung an die Tragfähigkeit von Reichs Theorien.

 

 

1. Bioenergetik

Der Anatom Luigi Galvani (1737-1798) gilt als Schöpfer der Elektrophysiologie, seine eigentliche Leistung besteht jedoch in der Begründung einer Theorie der Lebensenergie. 1771 untersuchte er, nachdem er sich vorher mit der "tierischen Elektrizität" von Zitterrochen beschäftigt hatte, die Wirkung von Elektrisiermaschinen, Leydener-Flaschen und atmosphärischer Entladungen auf die Muskeln sezierter Froschschenkel. 1780 kam es zu den gleichen Reaktionen, als er zwei unterschiedliche Metalle mit dem Froschschenkel zu einem Kreis zusammenschloß. Schließlich konnte er die Muskelkontraktionen aber auch ohne Zuhilfenahme der Metalle auslösen, indem er einen direkten Kontakt zwischen Schenkelmuskel und freigelegtem Ende der Wirbelsäule herstellte. In Übereinstimmung mit dem Gang seiner Forschung nannte Galvani das hier zur Wirkung kommende Agens zunächst "animalische Elektrizität", dann "galvanisches Fluidum" und schließlich "Lebenskraft". Sie fließe, so Galvani, nicht nur durch den Körper und errege die Muskeln, sondern stehe über die Haut auch mit dem "elektrischen Ozean", von dem der Organismus umgeben sei, in Wechselwirkung (5:55).(1)

Im Anschluß an Galvani malte man sich die Nervenfunktionen nach dem Muster der Elektrizität aus. Dieses Modell wurde entsprechend der Entwicklung der Physik modifiziert. Nachdem 1842 der Arzt und Physiker Julius Robert Mayer in seiner ärztlichen Praxis auf das Gesetz von der Erhaltung der Energie gestoßen war, machte der englische Physiologe W.B. Carpenter 1850 das Konzept einer "Nervenenergie" erstmals publik. Seine Theorie wurde u.a. von Darwin und Herbert Spencer weiterverbreitet. In Deutschland trat 1860 Gustav Theodor Fechner mit seiner "Psychophysik" hervor, in der es u.a. darum ging, daß diese Energie im Organismus eine konstante Größe sei, die sich unterschiedlich verteilt. So gelangte die Vorstellung von der Nervenenergie an Breuer und Freud und wurde schließlich unter dem Namen "Libido" zum Kristallisationskern der Psychoanalyse.

Ursprünglich lokalisierte der Neurologe Freud die libidinöse Energie in den Nervenzellen. Durch Einflüsse von Außen (Wahrnehmung) und Innen (Triebe) könne sie in den Neuronen vergrößert werden, sich im Nervensystem verteilen und nach innen und außen durch Körpervorgänge und Motorik wieder abgegeben werden. Wobei das einzelne Neuron, und entsprechend das Nervensystem als ganzes, ständig bestrebt sei, seinen Erregungszustand möglichst niedrig zu halten, weshalb Entladung mit Lust einhergehe. Jedoch gab Freud dieses neurologische Modell sehr bald wieder auf und übertrug es, etwa in der 1900 veröffentlichten Traumdeutung, bruchlos auf psychische Vorstellungen, die von der Libido unterschiedlich "besetzt" sind.(2)

Freuds Umgang vom physiologischen Konstrukt, das der konkreten Entdeckung der "Nervenenergie" harrte, zur bloßen psychologischen Metapher kam zur rechten Zeit. Denn in den Jahren zwischen 1900 und 1914 wiesen Lucas und Adrian schrittweise nach, daß bei der Nerventätigkeit keinesfalls von einem Energieerhaltunssatz die Rede sein könne, sondern jeder (überschwellige) Reiz entsprechend einem "Alles-oder-Nichts-Gesetz" immer dasselbe Aktionspotential im Nerven hervorruft, egal wie stark der Reiz auch sein mag. Ein Signal kommt ganz und unverändert oder gar nicht an. Für fließende Energien und Erhaltungssätze war kein Platz mehr (45).

Doch das Hantieren mit Metaphern, in das Freud auswich, um die Libidotheorie zu retten, war keine Lösung. Es gehört in die Dichtkunst, nicht in die Wissenschaft. Reich sollte die Psychoanalyse aus dieser unhaltbaren Lage befreien, indem er die Vorstellung einer "Nervenenergie" grundsätzlich überwand - wobei er zwangsläufig die Psychoanalyse hinter sich ließ.

Seine experimentellen Untersuchungen über "die elektrische Funktion von Sexualität und Angst" von Mitte der 1930er Jahre stellen die ersten Versuche dar, subjektive Empfindungen objektiv zu messen. Bei diesen Experimenten wurde das elektrische Hautpotential einer beliebigen Körperstelle (insbesondere aber an den erogenen Zonen) in Relation zu einer Stelle gemessen, an der die Epidermis eingeritzt war. Reich stellte fest, daß nur lustvolle Empfindungen die bioelektrische Ladung der Haut erhöhen, während alle anderen Emotionen mit einer Senkung derselben verbunden sind. Mit diesem Ergebnis wurde klar, daß Gefühle nicht nur "im Kopf" bzw. in den Nervensträngen stattfinden. Sie sind keine bloße Information, die von energetischen Prozessen hin und her geschoben wird, sondern die Emotion ist die Bewegung der Energie selbst, wobei sich die Energie auf Bahnen bewegt, die, wie Reichs Experimente zeigten, nichts mit den Nervensträngen zu tun haben.

Die Übermittlung von Nervenimpulsen ist nur eine sekundäre Funktion der primären Strömung von Energie durch den Körper, dessen energetische Streckung und Zusammenziehung auch die Nervenbahnen erfaßt. Die Nerven der höheren Lebewesen sind die "organisierte Form" von Funktionen, die einem biologisch tieferen und phylogenetisch älteren Bereich angehören. Dieser Bereich wird unmittelbar bei der Amöbe, die kein Nervensystem besitzt, unter dem Mikroskop faßbar und wurde von Reich durch die bioelektrischen Versuche auch beim Menschen erschlossen (30:117-119).

Die pulsatile bioenergetische Funktion, die in den Nervensträngen wirkt, wird nicht nur evident durch das eigene subjektive Empfinden oder bei der unmittelbaren Beobachtung der Expansion und Kontraktion von Nervenfasern bei durchsichtigen Mehlwürmern (33:182f), sondern auch, wenn man die Innervation der Muskulatur höherer Lebewesen näher betrachtet. Sieht man vom Herzen ab, kann die Muskulatur des Körpers in die innere glatte vom autonomen Nervensystem innervierte Eingeweidemuskulatur und die äußere quergestreifte, "willkürlich" innervierte Skelettmuskulatur aufgeteilt werden. Reich zufolge äußert sich die organismische Pulsation in der glatten Muskulatur als wellige Peristaltik, in der quergestreiften als Zuckung. "In der orgastischen Zuckung erfaßt die Pulsation den Gesamtorganismus ('Orgasmusreflex')" (33:170).

Betrachten wir zunächst das "unwillkürliche" autonome Nervensystem, das die inneren Organe, Blutgefäße, Drüsen, etc. innerviert. Es ist in Parasympathikus (Expansion) und Sympathikus (Kontraktion) aufgeteilt und spiegelt dergestalt in seiner Funktionsweise die energetische Pulsation unmittelbar wider. Die von Reich entdeckte Streckung und Kürzung des Nervensystems ist hier sozusagen Struktur geworden. Das "expansive" parasympathische Nervensystem hat lange "präganglionäre Fasern", während das "kontraktile" sympathische Nervensystem kurze präganglionäre Fasern besitzt. Zwar sind zum Ausgleich jeweils die "postganglionären Fasern" entsprechend kürzer bzw. länger, aber es ist bezeichnend, daß die parasympathischen Ganglien an der Peripherie in unmittelbarer Nähe der zu versorgenden Organe liegen, während sich die sympathischen Ganglien "ängstlich" um die zentrale Wirbelsäule gruppieren.

Die Trennung von prä- und postganglionären Fasern bedeutet, daß im Autonomen Nervensystem das Alles-oder-Nichts-Gesetz kaum eine Rolle spielt, denn zwischen den beiden Fasern ist in den Ganglien jeweils eine Synapse geschaltet, die das Nervensignal entsprechend dem emotionalen Geschehen so verstärkt oder abschwächt, als würde tatsächlich eine Art "Nervenenergie" fließen. Diese "analoge" Signalübermittlung spiegelt sich in der sanften ondulatorischen Bewegung der Eingeweide wider, die der Wellenfunktion in der atmosphärischen Orgonenergie entspricht, wie Reich sie in Äther, Gott und Teufel beschrieben hat (36).

Dieses Nervensystem ist radial organisiert und entspricht, wie wir noch sehen werden, funktionell den Quallen und Seesternen. Das nun zu betrachtende willkürliche Nervensystem ist orgonomförmig aufgebaut und findet seine Entsprechung in der Struktur und Bewegung der Vertebraten. Da hier in den Nervenbahnen "zwischengeschaltete" Synapsen fehlen, wird die Innervation der Skelettmuskulatur durch das "Alles-oder-Nichts-Gesetz" bestimmt. Diese Funktionsweise entspricht der "Pulsfunktion" der atmosphärischen Orgonenergie (2). Aber selbst hier: da bei steigender Reizstärke zusätzliche Nervenfasern aktiviert werden, ist es so, als wollten die Nerven, die die Skelettmuskulatur innervieren, die Bewegung der Energie nicht nur durch ihre Expansion und Kontraktion, sondern auch dadurch nachvollziehen, daß sie sich so verhalten, als wären sie tatsächlich die Bahnen einer ominösen "Nervenenergie".

Man sieht, daß das Funktionieren der Nerven auf tieferliegenden bioenergetischen Vorgängen beruht. Diese Lebensenergie nahm für Reich die Rolle der vormaligen "Nervenenergie" ein. Das Funktionieren der Lebensenergie versuchte er im Rückgriff auf die Arbeit von Friedrich Kraus, dem Direktor der Berliner Charité, zu erfassen. Kraus zufolge ist das "Biosystem der Person" ein Erregungssystem, ein auf Ladung und Entladung eingerichteter Apparat; eine "relaisartige Auslösevorrichtung", die darauf beruht, daß die Membranen des Körpers Kolloidelektrolyte zurückhalten, während sie von Salzelektrolyten durchdrungen werden. Auf diese Weise bauen sich immer neue bioelektrische Gradienten auf, die das Biosystem in Bewegung halten. Wir werden darauf zurückkommen. Nach der Entdeckung der Orgonenergie sprach Reich in diesem Zusammenhang vom "'Ätherfluß' in der membranösen Struktur des Menschen" (36:170).

Von hier aus können wir die Entwicklung seit Galvani nochmals Revue passieren lassen. Im Anschluß an Galvani gelang es Volta, auch ohne Froschschenkel, d.h. nur mit unterschiedlichen Metallen, elektrische Wirkungen zu erzielen und 1799 mit der "Voltaschen Säule" die erste Stromquelle (Batterie) zu bauen. Voltas Entdeckung des elektrischen Stroms verdrängte leider Galvanis ebenso wichtige Entdeckung der "Bioelektrizität", die der letztere durch den Verzicht auf Metalle machte. Als er, wie bereits erwähnt, Rückenmark und Froschschenkel in direkte Verbindung brachte, stellte er fest, daß verletztes Gewebe von sich aus einen elektrischen Strom erzeugt, den sogenannten "Verletzungsstrom". Mit Hilfe des inzwischen von Nobili erfundenen "Galvanometers" konnte Matteucci 1830 diese "tierische Elektrizität" definitiv nachweisen. Sie ist identisch mit dem Agens, auf das Reich 100 Jahre später in seinen bereits erwähnten bioelektrischen Experimenten ebenfalls mit Hilfe des Galvanometers stieß: die "Bioelektrizität" bzw. Orgonenergie (37).

In den 1960er und 70er Jahren konnte der New Yorker orthopädische Chirurg Robert O. Becker nachweisen, daß nach der Amputation von Gliedmaßen bei Salamandern der "Verletzungsstrom" die entscheidende Rolle bei der Gewebsregeneration spielt. Ein Strom der, Becker zufolge, nicht durch die Nerven selbst, sondern als "perineuraler Gleichstrom" durch die Nervenhüllen fließt und dabei u.a. auch die Tätigkeit der Nervenimpulse reguliert (5).

Drei Jahrzehnte zuvor, also parallel zu Reich, konnte der Neuroanatom und Embryologe Harold Saxton Burr die Rolle der "Bioelektrizität", die Burr als "L-Feld" (Lebensfeld) bezeichnete, bei der Embryonalentwicklung von Salamandern aufzeigen. Vor und nach Burr wurden die phylo- und ontogenetischen Formbildungsgesetze von biologischen "Strukturalisten" wie Driesch, Waddington, Huxley, D'Arcy Thompson, René Thom und in neuster Zeit Brian Goodwin untersucht. Sie alle haben gezeigt, daß in der Entwicklung des Embryos und in der Evolution der Tiere energetische Gesetzmäßigkeiten wirksam sind (5, 44). Reich hat in Die kosmische Überlagerung nachgewiesen, daß der Entwicklung des Lebendigen bestimmte orgonotische Formgesetze zugrunde liegen. Die Bewegung der Orgonenergie (der erwähnte "Ätherfluß") wird durch die Membranen behindert. Der Druck, den die Energie auf sie ausübt, bestimmt die Form des Lebewesens und seiner Organe (42).

 

 

2. Biogenetik

1859 stellte Darwin in The Origin of Species die Evolutionstheorie dar. 1871 reihte er in The Descent of Man den Menschen in den Stammbaum der Lebewesen ein und 1872 in The Expression of Emotion in Animals and Man sein Verhalten. In diesen Zusammenhang, der Einfügung des Menschen in die Tierwelt, gehört das 1866 von Ernst Haeckel (1834-1919) formulierte "Biogenetische Grundgesetz". Sein Ausgangspunkt ist, daß die embryonale Entwicklung etwa der Maus und des Menschen bis zu einem bestimmten Zeitpunkt verblüffende Parallelen aufweist und mehr oder weniger deutlich den Stammbaum des Tierreichs nachzeichnet. Entsprechend besagt das Haeckelsche "Rekapitulationsgesetz", daß das lebendige Plasma in der Ontogenie seine gesamte Phylogenie wiederholt: "Die Keimesgeschichte ist ein Auszug der Stammesgeschichte."(3)

Die lebensenergetische Grundlage des Biogenetischen Grundgesetzes wird z.B. durch die Copesche Regel ("Größenzunahme-Regel") evident. Betrachtet man die Arten von den fossilen Urformen bis zu ihren heutigen Vertretern, wird deutlich, daß in der Ahnenreihe die Tiere immer größer werden, getreu dem Orgonomischen Potential. Man denke nur an die Entwicklung des Pferdes - eines der verblüffend wenigen Tiere, das größer ist als der Mensch. Das Orgonomische Potential kommt also nicht nur in der Ontogenie, sondern überraschenderweise auch in der Phylogenie (natürlich nicht aller, aber der weitaus meisten Arten) zum Ausdruck. Ein weiterer Hinweis, daß die Phylo- und Ontogenie von den gleichen energetischen Gesetzmäßigkeiten regiert wird, bietet die "Allometrie-Beziehung" zwischen phylo- und ontogenetischen Abläufen. Zum Beispiel ist das Wachstum des Gesichtsschädels im Verhältnis zum Gesamtschädel für die individuelle Entwicklung des Hauspferdes und die phylogenetischen Reihe, die zu ihm hinführt, fast identisch (18:35).

Aus der Entwicklung des Embryos kann man auf entsprechende Vorgänge in der Evolution schließen und so z.B. dem Geheimnis der Artentstehung näherkommen. Zwar ist es möglich, neue Rassen zu züchten, die besser angepaßt sind und unterschiedlicher kaum sein könnten, etwa bei Hunden, aber es liegt vollkommen im Dunklen, wie aus dieser graduellen Entwicklung eine neue Art entstehen soll. Für diesen Sprung könnte das Biogenetische Grundgesetz einen Erklärungsansatz liefern. Zwar verläuft auch die Ontogenie graduell, aber immerhin wird sie in verschiedene Phasen aufgeteilt, die sich morphologisch deutlich voneinander unterscheiden, und Reich zufolge treten bei Embryos heftige "Entwicklungszuckungen" auf, "die man von orgastischen Zuckungen bioenergetisch nicht unterscheiden kann" (33:397, siehe auch 30:109). Filmisch nachgewiesene Zuckungen des Hühnerembryos bestätigen, so Reich, die "klonisch-pulsatorische Natur des embryonalen Wachstums." In diesen Zuckungen komme die Vitalität des Embryos zum Ausdruck (33:396).

Die Ontogenie beginnt mit der konvulsorischen (und wie wir sehen werden orgastischen) Zellteilung, an die sich weitere anschließen (Furchung), darauf folgen Einstülpungen (Gastrulation) und andere drastische Umformungen, bis schließlich der Fetus vorliegt, der diese "konvulsorische" Entwicklung mit strampelnden und zuckenden Bewegungen fortsetzt.(4) Beim Menschen kann man bereits bei einem Schwangerschafts-Alter von acht Wochen den Herzschlag des Embryos im Ultraschall sehen, wenige Zeit später auch Bewegungen, die eher wie "sich hin und her stoßen" im Uterus aussehen und nicht durchgängig sind. Die zukünftige Mutter spürt Kindsbewegungen ab etwa der 20. Schwangerschaftswoche.

Vielleicht ist die Antwort, auf die Frage nach der Entstehung neuer Arten, mit den orgastischen "Entwicklungszuckungen" verbunden, durch die in der kontinuierlichen Entwicklung des Embryos ein diskontinuierliches Element auftritt. Ohnehin können sich Artveränderungen nur während der Embryonalentwicklung ereignen. Reich hat derartige "evolutionäre Sprünge" in der Evolution sozusagen "in vitro" beobachtet und damit die Evolutionsbiologie erstmals auf eine experimentelle Grundlage gestellt. Wie noch zu zeigen sein wird, entwickeln sich Bione aufgrund der "Orgasmusformel" denkbar sprunghaft aus toter Materie, und aus Bion-Haufen werden ebenso sprunghaft unterschiedliche Protozoenarten. Vorgänge, für die die konventionelle Biologie Jahrmillionen vorsieht.(5)

Haeckels Grundgesetz, mit dessen Hilfe sich Forschungsrichtungen gegenseitig befruchten können, die auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben, ist ein hervorragendes Beispiel für funktionalistisches Denken. Der medizinische Orgonom Charles Konia verweist in diesem Zusammenhang auf die beiden Neurologen John Hughlings Jackson (1836-1911) und Freud (20). Jackson, Wegbereiter der modernen Neurologie, betrachtete das Nervensystem als entwicklungsgeschichtlich determinierten Reflexapparat. Die niedrigsten Zentren würden rein reflektorisch funktionieren, die höheren immer flexibler. Würden diese "willkürlichen" Zentren durch Krankheit zerstört oder im Schlaf und in der Hypnose gelähmt, wäre das gleichbedeutend mit einem Rückgang auf niedrigere "automatische" Entwicklungsstufen. Ähnliche Überlegungen liegen Freuds Psychoanalyse zugrunde. Er extrapolierte Haeckels Betrachtungsweise auf die menschliche Sexualentwicklung: in ihr wiederhole sich die Naturgeschichte der Fortpflanzungsfunktion. Eine stufenweise Entwicklung, wie in der Evolution und der Embryonalentwicklung. Neurosen seien, so Freud, eine Regression, ein "Zurückschreiten" zu früheren Phasen der Evolution.

Sogleich muß hier eingefügt werden, daß Freuds Theorie durch Reich gewichtige Modifikationen erfahren hat. Bereits in den 1920er Jahren hatte Reich in seiner Orgasmustheorie gezeigt, daß die einzelnen Triebe nicht unabhängig voneinander funktionieren, sondern miteinander kommunizieren und von der Ordnung des Gesamtsexualhaushalts, also von der orgastischen Potenz abhängen, die die prägenitalen Triebforderungen an das Ich herabsetzt oder ganz beseitigt (40:189). In den 40er Jahren wandte er sich dann schließlich explizit gegen die Freudsche Vorstellung einer "Regression". Es gäbe natürlich keine "Rückkehr". Allenfalls könne man davon sprechen, daß der Organismus auf alte onto- und phylogenetische Muster zurückgreift. Wenn etwa von einem okularen, oralen, analen, phallischen oder genital-inzestuösen Charakter die Rede ist, bedeutet das nicht, daß der betreffende in die jeweilige Phase "regrediert", sondern daß zu der Zeit, als diese Phase aktuell war, es zu einer Entwicklungsstörung gekommen ist. Es traten sozusagen bestimmte Fehler im Fundament des in der Folgezeit errichteten emotionalen Gebäudes auf. Diese Baufehler und das, was aus ihnen hervorgeht, können als okular, oral, anal, phallisch oder genital-inzestuös bezeichnet werden. "Regression" hat also nichts mit Rückkehr in die Vergangenheit zu tun, sondern bedeutet, daß diese Vergangenheit aktuell in der Struktur verankert ist (3, 38).

Freud zufolge führt jede Hemmung in der onto- bzw. "psychogenetischen" Entwicklung zu einem neurotischen Bewußtsein, das in seinem Atavismus mit der entsprechenden phylogenetischen Stufe korreliert. In den Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse von 1916-17 sagt Freud über die Entwicklung der Libido, ihr sähe man die "phylogenetische Herkunft ohne weiteres an." Und er fährt fort: "Denken Sie daran, wie bei der einen Tierklasse der Genitalapparat in die innigste Beziehung zum Mund gebracht ist, bei der anderen sich vom Exkretionsapparat nicht sondern läßt, bei noch anderen an die Bewegungsorgane geknüpft ist (...). Man sieht bei den Tieren sozusagen alle Arten von Perversion zur Sexualorganisation erstarrt." 1918, im Fallbericht über den "Wolfsmann", bezeichnet Freud die prägenitale Phase als "Reste von Einrichtungen", "die in manchen Tierklassen dauernd festgehalten werden." Im Kapitel über "Entwicklungsphasen der sexuellen Organisation" der Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie betrachtet er die orale und die anale Phase als "Rückfälle auf frühtierische Zustände" (z.n. 50:365).

Unter Freuds Schülern wandte Karl Abraham das Biogenetische Grundgesetz noch am konsequentesten an. 1924 führte er den menschlichen After auf den Urmund (Blastoporus) zurück und erklärte so, d.h. mit der Ausformung des Zweitmundes, den Wechsel von der oralen zur analen Libidostufe (50:370). Dementsprechend, könnte man fortfahren, entspricht der Organisationsstufe der Urchordaten, wo sich das erste Mal die typische Orgonomform der Wirbeltiere zeigt, dem Übergang vom Analen zum Phallischen, das sich dann auf der Stufe "Krokodil", wo sich zum ersten Mal der Penis (und mit ihm die Klitoris) aus der Kloake herausdifferenziert, konsolidiert.

Man kann also Freuds Ansatz folgen und ihn weiter ausbauen - solange man sich bewußt bleibt, bis zu welchem absurden (geradezu quacksalberischen) Extrem Freud selbst seine psychogenetische Theorie führte - weil er nicht auf dem Boden der Orgasmustheorie stand. Zum Beispiel schrieb sein Sprachrohr Anna Freud 1936: "Das analytische Studium der Neurosen hat nun schon seit langem zu der Vermutung geführt, daß im Menschen eine Neigung zur Abweisung bestimmter Triebe, besonders der Sexualtriebe, ohne alle Erfahrung und ohne spezielle Auswahl aus phylogenetischer Erbschaft schon von vornherein vorhanden ist" (z.n. 22:162). Ähnliches Zeugs verzapft Freud selbst in seiner letzten Schrift, dem unvollendeten Abriß der Psychoanalyse, wo er die Annahme verwirft, daß das Kind gestillt werden müsse, denn hierbei habe "die phylogenetische Begründung so sehr Oberhand über das persönliche akzidentielle Erleben, daß es keinen Unterschied macht, ob das Kind wirklich an der Brust gesaugt hat oder mit der Flasche genährt wurde und nie die Zärtlichkeit der Mutterpflege genießen konnte. Seine Entwicklung geht in beiden Fällen die gleichen Wege" (z.n. 50:530f).

Reich zitiert als Beispiel für derartige Abwegigkeiten den Psychoanalytiker Geza Roheim, für den Klitorisexzision "eigentlich eine dramatisch abgekürzte Wiederholung der phylo- und ontogenetischen Entwicklung ist. Die Frau soll die Klitoriserogenität aufgeben und zur vaginalen Erogenität fortschreiten." Zurecht macht sich Reich hier, 1934, über dieses "Eindringen in die tiefsten Geheimnisse der Absichten der Phylo- und der Ontogenie" lustig, das die Zerstörung des Genitals mit der Freilegung der Genitalität (bzw. dessen, was sich ein Psychoanalytiker darunter vorstellt) gleichsetzt (40:184f).

 

 

3. Biopsychologie

Nach Reichs Orgasmustheorie, mit der wir uns noch eingehender beschäftigen werden, ist Sexualität nichts anderes als Entladung von Lebensenergie - die sich logischerweise ("Weitergabe von Lebensenergie") auf die eine oder andere Weise mit Fortpflanzung verknüpft, aber weitaus fundamentaler ist als diese. Entsprechend ist die Ontogenie (und damit auch die Phylogenie - die in Reichs Bionversuchen ein und dasselbe sind) nichts anderes als immer neue Versuche der organismischen Orgonenergie sich aus der sie behindernden Membran zu befreien (= Orgasmus). Aus diesem Blickwinkel kann man z.B. Freuds "psychogenetisches Grundgesetz" interpretieren: den libidinösen Stufen entsprechen verschiedene Arten von "Orgasmen" (ein Begriff, der sich in der Orgonomie ansonsten auf den Höhepunkt der genitalen Umarmung beschränkt). Genauso wie in die kontinuierlich verlaufende Ontogenie tragen "Orgasmen" ("Entwicklungszuckungen") auch in die "Libidogenie" jenen diskontinuierlichen Aspekt hinein, der es überhaupt sinnvoll macht, von "Entwicklungsphasen" zu sprechen.

Bereits Mitte der 1920er Jahre betrachtete Reich den epileptischen Anfall als einen "extra-genitalen Orgasmus" bzw. als "echte extragenitale orgastische Konvulsion" (31:260, 34:223). Baker spricht vom Epileptiker als von einem okularen Charakter, der seine Erregung in die Muskulatur entlädt, was dann zu den orgasmusartigen epileptischen Anfällen führt (3). Der Schizophrene und der Mystiker sind ebenfalls okulare Charaktere, bei denen man von einer Art "Orgasmus" reden kann: ob in den Verzückungen der christlichen Mystik oder direkt als Ersatz für den genitalen Orgasmus beim Kundalini-Yoga und beim Tantra (21) (vgl. Die Massenpsychologie des Buddhismus).

Ungefähr zehn Tage oder zwei, drei Wochen nach der Geburt kommt es dazu, daß die Augen des Säuglings etwas fixieren können. Damit ist die okulare Phase umrissen. Entwicklungsstörungen innerhalb dieses Zeitfensters führen zu Schizophrenie (41:57).(6) In diesem kurzen Entwicklungsabschnitt fühlt sich das Baby noch eins mit der Welt. Es separiert sich von der Welt, wenn es beginnt, Dinge mit den Augen zu fixieren. Ein noch primitives Ego bildet sich, das nach Schutz und Geborgenheit in der Welt sucht, so daß man von der eigentlichen oralen Phase sprechen kann.

In der okularen Entwicklungsphase formiert sich die gesamte spätere Ausrichtung der Persönlichkeit. "Ausrichtung" ist wörtlich zu nehmen, denn im Tierreich entspricht diese Phase der "Prägung", wie man sie besonders deutlich an Jungvögeln beobachtet. Zum Beispiel kann man frisch geschlüpfte Gänsekücken auf so gut wie jeden Gegenstand prägen. Das folgende orale Stadium ist dadurch gekennzeichnet, daß das "geprägte" Baby in keiner Hinsicht eigenständig lebensfähig ist und in einem unmittelbaren Abhängigkeitsverhältnis von seiner Mutter steht.

Es ist offensichtlich, daß man die okulare Phase kaum von der oralen Phase separieren kann. Entsprechend ist auch der "okulare Orgasmus" vom "oralen Orgasmus" nicht zu unterscheiden. Es kommt zum Zucken des gesamten Gesichtes, einschließlich der Augen. Während dem Säugen ("Stillen") hat das Baby einen "Mundorgasmus", bei dem sich die Augenballen nach oben und seitlich verdrehen, der Mund zu zucken und die Zunge zu zittern beginnt. Diese Zuckungen verbreiten sich über das ganze Gesicht, dauern einige Sekunden, nach denen sich die Gesichtsmuskulatur wieder entspannt (33:386).(7)

Die späteren okularen und oralen Pathologien überschneiden sich weitgehend. Man denke nur an den für Mystiker charakteristischen Infantilismus: er sehnt sich nach "Gott-Vater", der "Mutter Gottes" und will im "All-Einen" aufgehen. Ohnehin macht das Postulieren einer "okularen Libidophase" nur vor dem Hintergrund der Neurosenlehre bzw. in diesem Fall der "Psychosenlehre" Sinn. Die Oralität hingegen ist die einzige natürliche, voll ausgeprägte prägenitale Phase in der Entwicklung des Menschen. Baker zufolge sind die anderen prägenitalen Phasen bloße Kunstprodukte unserer Kultur (3:53). Bereits 1927 notierte Reich, daß es im Tierreich nur oralen Sadismus gäbe, erst beim Menschen komme der anale und phallische Sadismus hinzu (35:190f). Die Sonderstellung der oralen Zone hängt, so Baker, sicherlich damit zusammen, daß sie alleine das vordere Ende des Ernährungstrakts ausmacht, während sich das Genital in der Phylogenese zusammen mit dem Anus und der Harnröhre aus dem hinteren Ende des Darmes, der Kloake, herausentwickelt hat (anal, phallisch, genital) (3:53).

Bei Naturvölkern wird bis ins zweite oder zweieinhalbte Lebensjahr gestillt, manchmal reicht das Stillen bis ins vierte Jahr hinein. Ähnlich sieht es bei den Menschenaffen aus. Bonobos beginnen ab dem zweiten Lebensjahr mit sexueller Betätigung. Beim Menschenkind ist es so, daß es im ersten Jahr eher explorativ als erregt mit seinen Genitalien spielt. Erst mit etwa 14 Monaten unterscheidet sich die masturbatorische Genitalreaktion qualitativ von anderen angenehmen Manipulationen. "Der Atem wird gepreßt, der Blick nach innen gewendet und glasig, die Pulsfrequenz steigt, das Kind wirkt 'absorbiert'. Kurz: Erstmals treten alle Zeichen auf, die bei Erwachsenen als Begleiterscheinungen sexueller Erregung gelten" (12:46).

In unserer Gesellschaft wird ausgerechnet zu dieser Zeit durch das "Sauberkeitstraining" die Analität libidinös besetzt. Im Gegensatz zum oralen Stadium ist das anale Stadium (das nach Freud im 18. Monat beginnt) von Anfang an pathologisch. Die biologische Basis, an der sich die anale Pathologie festmacht, ist das, was man gemeinhin als "Trotzphase", in der die Unabhängigkeit des Organismus hergestellt wird, bezeichnet. Ab dem 18. Monat ist das Kind in der Lage, sich selbst im Spiegelbild zu erkennen: es wird zu einer "selbstbewußten", bei entsprechend ungünstigen Umständen eine "trotzige", Person. Die Koordinierung der Teilfunktionen erfolgt und damit die weitgehende Emanzipation von äußerer Unterstützung. Das Kind löst sich von der symbiotischen Beziehung zur Mutter und wird Mitglied der "Kinderrepublik". Gelingt diese Loslösung nicht, wird der After libidinös besetzt und man kann von der, um es nochmals hervorzuheben, stets pathologischen analen Libidostufe sprechen.

In Der Mensch in der Falle spricht Baker in Anlehnung an den "oralen Orgasmus" vom "analen Orgasmus" beim Masochisten mit seiner analen Charakterstruktur: "Der anale Orgasmus hat eine flache Erregungskurve - ohne steilen Anstieg und ohne Gipfel. Auf Grund der 'Drücken-Anhalten'-Art seiner Panzerung braucht der Masochist Stunden zum Onanieren. Er hält meist die Ejakulation zurück und fängt immer wieder von vorne an, weil er keine starke Erregung (Ausdehnung) ertragen kann. Schließlich fließt das Ejakulat aus, ohne zu spritzen, und er bleibt mit einem freudlosen, unglücklichen Gefühl zurück" (3:202f). Zwar hat mir Baker Anfang der 80er Jahre ausrichten lassen, daß "analer Orgasmus" eine "unzutreffende Bezeichnung" gewesen sei, die sich in seine Ausführungen geschlichen hat, aber ich finde trotzdem, daß sich dieser misnomer logisch als zweites (bzw. drittes Glied) neben den (okularen und) "oralen Orgasmus" einreiht.(8)

Das in der neurotischen Entwicklung an das Anale anschließende Phallische (nach Freud 3. oder 4. Jahr) ist eine Vorform der Genitalität und stellt den Übergang von der prägenitalen zur genitalen Sexualität dar. Reich sprach in diesem Zusammenhang von der "ersten Pubertät" (2. bis 5. Lebensjahr). In der Reihe der prägenitalen "Orgasmen" entspricht der "phallische Orgasmus" einfach dem, was man gemeinhin als "Orgasmus" bezeichnet: ein auf das Genital beschränktes starkes Jucken bzw. das "Abspritzen". Reich spricht in diesem Zusammenhang von "Beckenwut" und weist auf die Aussagekraft des englischen Ausdrucks "fuck" hin (38:509-511).

Die biologische Basis, an der die phallische Pathologie anknüpft, ist das, was auf die "selbstbewußte Trotzphase" folgt: zwischen dreieinhalb und vier Jahren kann sich das Kind erstmals in eine andere Person versetzen. Eine Störung dieser sich entwickelnden Fähigkeit, sich in die Rolle des Gegenübers hineinzufühlen, erzeugt die typische "egozentrische" phallisch-narzißtische Charakterdeformation.

Der Übergang vom Phallischen zum Genitalen ist besonders interessant, da er mit dem Wechsel von der phallisch-klitoralen zur vaginalen Genitalität identisch ist. Reich beschäftigt sich damit eingehend in einer Tagebucheintragung von 1953. Nachdem er die Orgasmusfunktion über die Darmbewegung und die Quallen bis auf die Amöben zurückverfolgt und zu einem grundlegenden Phänomen allen Lebendigen erklärt hat, fährt er fort: "Es kann keinen Zweifel über die grundlegende bioenergetische Funktion des Orgasmus geben. Von einem biogenetischen Standpunkt aus können wir jedoch in Betracht ziehen, ob es eine entwickelte vaginale Erregbarkeit überall im Tierreich gibt, einschließlich dem Weibchen der menschlichen Spezies, oder ob wir uns mit dem menschlichen Weibchen zu einem allumfassenden vaginalen orgonotischen Funktionieren hin bewegen als einem weiteren Schritt in der Phylogenese. Die klitorale Genitalität (also die phallische Sexualität des Weibes, PN) würde dann nur ein erster Durchbruch des weiblichen Genital entweder aus der gesellschaftlichen Unterdrückung der Genitalität oder aus einem primitiven Evolutionsniveau darstellen" (15:241f, Hervorhebungen hinzugefügt).(9) Im vorliegenden Artikel versuche ich nichts anderes, als diese Überlegungen Reichs auch auf das Männchen und auf alle Stufen der Prägenitalität zu übertragen.

Die libidinöse Entwicklung wiederholt sich in der Genitalen Umarmung, angefangen beim flirtenden Augenkontakt. In diesem Zusammenhang ist interessant, daß er bei allen Säugetieren und insbesondere den Primaten als eher bedrohlich empfunden wird. Nur für Bonobos und Menschen gehört er zum Liebesspiel (48:92). Dem okularen Kontakt folgen Kuß und Vorspiel (orales Schmecken und anales Riechen). Damit diese prägenitalen Strebungen nicht störend in den Verlauf des genitalen Geschlechtsaktes eingreifen, wird z.B. "ein stärker betonter oraler Antrieb (...) in Form einer Fellatio oder eines Cunnilingus befriedigt werden müssen" (35:211). "Die Analität wird als Tendenz zum Koitus a tergo oder als Geruchserotik auf die genitale Stufe gehoben" (35:170). Die Befriedigung der prägenitalen Bestrebungen wird dann abgelöst vom aggressiven "zur Sache kommen" (phallisch) und schließlich dem orgonotischen genitalen Kontakt, der zur orgastischen Entladung führt.

Die Entwicklung der Orgasmusfunktion von okular bis genital wird auch in der Orgontherapie im Verlauf vieler Monate oder sogar Jahre nachvollzogen, indem vom Augen- zum Becken-Panzerungssegment, von oben nach unten, alle Blockierungen der organismischen Orgonenergie aufgelöst werden, bis schließlich der ganze Körper bioenergetisch integriert ist.(10)

Hauptrechtfertigung dafür, daß überhaupt von libidinösen Stufen gesprochen wird, ist die Einteilung der neurotischen Charaktertypen in okular (schizophren, u.a.), oral (infantil), anal (zwangsneurotisch, u.a.), phallisch (z.B. chronisch depressiv) und genital-inzestuös (hysterisch). Reich selbst hat in seinen späteren Schriften die Einteilung in libidinöse Stufen praktisch überhaupt nicht benutzt. Er sprach nur von zwei "kritischen Perioden". Die erste, die das spätere bioenergetische Funktionieren bestimmt, ist mit der "Zusammenfassung aller Bio-Funktionen zu einem einheitlich, koordinierten Bio-System etwa im 10.-12. Lebensmonat" nach der Geburt abgeschlossen.(11) "Die 'kritische Periode' der 'psychischen' Entwicklung liegt etwa zwischen dem 3. und 5. Lebensjahr; sie ist in ihrem Ausgang weitgehend von dem Ablauf der biophysikalisch kritischen Phase bestimmt" (33:398). Während dieser Zeit gehen Kinder durch eine Zeit intensiver sexueller Erregung.

Unter allen Umständen wollte sich Reich von der Psychoanalyse abheben, deren Gedankengebäude zu sehr von ihrem Forschungsobjekt beeinflußt war: dem neurotischen Seelen- und perversen Sexualleben. Andererseits bietet gerade die Orgonomie (jenseits der oben erwähnten pathologischen "Orgasmen") einen Ansatz, der die libidinösen Stufen unabhängig von der Neurosenlehre greifbar macht.

Aus spezifisch Reichscher Sicht stellt sich die libidinöse Entwicklung als Organisierung der Teilpulsationen dar, etwa so wie sich eine Gruppe von Bionen zu einem Protozoon und Protozoen zu einem Metazoon organisieren. Nach dem gleichen Prinzip entwickelt sich das Embryo (Ontogenie) und später das Baby ("Libidogenie"). Dabei sind die libidinösen Schritte identisch mit der Entwicklung von der unzusammenhängenden (= prägenitalen) zur zusammenhängenden (= genitalen) Pulsation des Organismus. Die fünf Stufen sind: der undifferenzierte Zustand, in dem noch keine klare Trennung zwischen Ich und Außenwelt besteht (okular); der differenzierte Zustand, in dem das Individuum in unbedingter Abhängigkeit steht (oral); die Phase der Koordination, in der sich die Teilbereiche zu einer unabhängigen Ganzheit zusammenschließen (anal); die Phase der Strukturierung, in der sozusagen der Lebenskampf aufgenommen wird (phallisch); und schließlich die Phase der vollständigen Integration und Reife (genital) (14).

Reich beschrieb diese Vorgänge hauptsächlich in Begriffen, die mit der Entwicklung des Bewußtseins in Zusammenhang stehen. So stellte er 1950 das Problem in den Raum, wie und wann Bewußtsein und Selbstwahrnehmung in Erscheinung treten. "Wir müssen der Frage nachgehen, wo das pulsierende System, das geschlossene System, sich aus dem Orgon-Ozean herausentwickelt und von da aus fragen, wo die Entwicklung der Selbstbewußtheit beginnt. Es ist nie ein klarer Sprung vom Nichts zu Etwas. Das habe ich von (...) Sigmund Freud gelernt: man muß in entwicklungsgeschichtlichen Begriffen denken - immer, immer. Wie entwickelt es sich? Was ist der erste Schritt, der zweite, der dritte und so weiter hin zu unserem abgeschlossenen Prozeß?" (39:65).

In seinem Artikel "Orgonotic Pulsation" von 1944 beschreibt Reich die Funktionsentwicklung von der einzelnen Urzelle anwärts. Bereits bei der Geburt finden sich im Organismus zwei Bereiche, nämlich der des rein Organischen und der des Gefühls und der Empfindungen. Obwohl sich die Organe auf der einen Seite und die Emotionen und die Wahrnehmungsfunktion auf der anderen Seite unabhängig voneinander entwickeln, werden sie vom einheitlichen Funktionieren des autonomen Lebensapparats bestimmt. In den ersten Monaten nach der Geburt könne man beobachten, wie die Organfunktionen nacheinander koordiniert werden, entsprechend würden auch die Gefühlsreaktionen spezifischer und stimmiger. Dann folge Schritt auf Schritt der Kontakt zwischen Organ-Bewegung und Organ-Wahrnehmung. "Mit der Koordination von einzelnen, bis jetzt ziellosen Bewegungen zu zielgerichteten Bewegungen des ganzen Körpers, mit der Koordination von einzelnen Empfindungen zur Wahrnehmung des ganzen Körpers und mit der Koordination des gesamtkörperlichen Impulses mit der körperlichen Wahrnehmung, entwickelt sich schrittweise das, was wir Bewußtsein nennen. Die unzähligen einzelnen Funktionen fahren fort, unabhängig zu funktionieren, aber zur gleichen Zeit bilden sie ein einheitliches Ganzes und beeinflussen einander synergistisch und antagonistisch" (29:106).

Reichs Entwicklungsschema zufolge geht die Fähigkeit zur ganzkörperlichen Plasmazuckung (orgastische Potenz) mit der Formation eines ganzheitlichen Bewußtseins, einem "Ich" einher. Wie er bereits 1927 schrieb sind Bewußtsein und Sexualität engstens miteinander verknüpft (35:98f), "(...) weil ja das Zustandekommen der Lustempfindung an die Bereitschaft, sie wahrzunehmen und zu genießen, gebunden ist" (35:100). Schlaf, schizophrene Zustände und überhaupt Zustände schwindenden oder sich zersetzenden Bewußtseins stellen Regressionen dar, bei denen sich zuerst das Bewußtsein und schließlich der Körper selbst funktionell desintegrieren. Die einzelnen Körperteile gewinnen einen Gutteil ihrer Autonomie zurück.

 

 

4. Biophysiologie

Bewußtsein ist die Integration der einzelnen Selbstwahrnehmungen,(12) bei denen "Sinneseindruck und Emotion in eine funktionelle Einheit zusammenfließen" (36:63). Reich führt die Emotionen, wie wir gleiche sehen werden, auf die biogenetische Entsprechung der oralen Phase zurück, die Wahrnehmung weiter bis auf die "Reizempfindlichkeit des rein physikalischen Orgons" (36:91).

Die biologische Entwicklung ist funktionell identisch mit der naturgeschichtlichen Entwicklung der Selbstwahrnehmung der kosmischen Orgonenergie (42:126f.134). In der ersten, der Prägephase kommt z.B. eine der Grundeigenschaften der Orgonenergie zum Ausdruck, die der primitive Urgrund des Bewußtseins ist: die Fähigkeit "wahrzunehmen" bzw. "geprägt" zu werden. Als mechanisches Äquivalent denke man etwa an die Fähigkeit einer Knetmasse, einen "Eindruck" zu speichern.

In der phylogenetischen Entwicklung der Metazoen wird diese okulare, undifferenzierte Stufe der Bewußtseinsentwicklung durch die mikroskopisch kleine Gitterkugel Volvox repräsentiert. Diese Kugelalge gehört zwar zum Pflanzenreich, aber genauso müssen die ersten tierischen Vielzeller ausgesehen haben. In der Ontogenie ist die Entsprechung die "Blastula", eine aus Zellen gebildete mit Flüssigkeit gefüllte Hohlkugel, die durch Zellteilung aus der befruchteten Eizelle entsteht.

Leider unterscheidet sich die frühe Entwicklung der verschiedenen Tiergattungen, obwohl ein Grundmuster deutlich erkennbar bleibt. Beim Menschen ist es so, daß sich etwa 30 Stunden nach der Befruchtung die Zygote zum ersten Mal teilt. Danach alle 12 bis 15 Stunden. Nach vier Tagen hat die Eizelle fünf Teilungen hinter sich. Löst man einzelne Zellen aus der sich dergestalt bildenden "Morula", die nicht größer ist als die ursprüngliche Eizelle, heraus, sind sie noch in der Lage ein vollständiges Individuum hervorzubringen. Aus diesem Zellklumpen bildet sich die "Blastozyste". Sie entspricht der Blastula. Nur, daß sie sich beim Säugetier nicht etwa selbst zum ausgewachsenen Organismus weiterentwickelt, sondern nur drei bis fünf Zellen im Inneren der Blastozyste.

In der differenzierten biogenetischen Phase entwickelt sich durch Einstülpung der Blastula-Hohlkugel der "Urmund" (der gleichzeitig auch Ausscheidungsorgan ist) mit dem dazugehörigen "Urdarm". An der Larve der Hohltiere, der "Planula", kann man die Einstülpung der Blastula unmittelbar beobachten. Diese in jeder Beziehung "orale" Stufe nennt man "Gastrula", phylogenetisch entspricht sie z.B. den Quallen. In der Ontogenie weicht auch hier das Säugetier Mensch vom phylogenetischen Urmuster ab. Eine Woche nach der Befruchtung hat sich die Zellmasse innerhalb der Blastozyste zu einer Scheibe abgeflacht, die sich in zwei Schichten differenziert: das obere Ektoderm und das untere Entoderm (das der Wandung des Urdarms entspricht). Generell gilt für diese Phase, daß die Zellen wandern und neue Positionen einnehmen, wodurch der differenzierte Grundbauplan des späteren Lebewesens evident wird.

Die orale Phase verkörpert den grundlegenden Bewegungsausdruck des Lebendigen. Reich brachte diesen Gedanken 1948 wie folgt zum Ausdruck: "Wie die Darwinsche Theorie aus der Morphologie des Menschen seine Abstammung von den niederen Vertebraten ableitete, so führt die Orgonbiophysik die emotionellen Funktionen des Menschen weit tiefer noch auf die Bewegungsformen der Weichtiere und Protisten zurück" (38:519). Die Lösung der segmentären Panzerung setzt Ausdrucksbewegungen und plasmatische Strömungen frei, "die von den anatomischen Nerven und Muskelanordnungen des Wirbeltieres unabhängig sind. Sie entsprechen weit mehr der peristaltischen Bewegung eines Darms, eines Wurms oder eines Protisten" (38:515f).

Zusammen mit den analen Stachelhäutern der nächsten Stufe verkörpern die oralen Hohltiere mit ihrer Tendenz zu einer radialen Struktur gleichzeitig jene biologische Funktion, aus der sich das vegetative Nervensystem mit seinem Zentrum in der Mitte des Körpers bildet: Reich glaubte, daß die energetische Struktur mit Zentrum und Peripherie, die er aus seinen bioelektrischen Experimenten abgeleitet hatte, insbesondere in der Körperstruktur von "Qualle, Seestern und verwandten Organismen" zum Ausdruck kommt (30:121).

Den Schritt von oral zu anal kann man sich wieder besonders gut an einer Larve vergegenwärtigen, dem "Pluteus" des Seeigels. Ohne diese Larve wäre der Seeigel kaum einzuordnen, sie zeigt nämlich, wie sich zwischen dem Ektoderm und dem gastrula-typischen Entoderm (Urdarm) das "Mesoderm" ausbildet. Man kann also die okulare Entwicklungsphase mit dem Ektoderm, die orale mit dem Entoderm und die anale mit dem Mesoderm gleichsetzen. Während die Hohltiere praktisch nur Säcke aus einer Außenlage (dem Ektoderm) und einer Innenlage (dem Entoderm) sind, bildet sich bei den "Leibeshöhlentieren" zwischen beiden Keimblättern ein Hohlraum aus, in dem sich das für das Binde- und Stützgewebe zuständige Mesoderm entfaltet.

In der analen, koordinierten Phase (Leibeshöhlentiere) verzweigt sich die Evolution in Vordermünder (z.B. Insekten) und Zweitmünder (z.B. Wirbeltiere). Bei den Vordermündern bildet sich am hinteren Ende des Urdarmes eine neue Afteröffnung aus, d.h. der Urmund bleibt der Mund des Tieres. Bei den Zweitmündern, zu denen auch wir gehören, ist die Entwicklung genau umgekehrt: der Urmund wird zum After, während sich am Ende des Darmes ein neuer Mund ausbildet. Am Ende der Entwicklung der Vordermünder stehen die Krustentiere, Spinnen und Insekten mit ihrer Chitin-Panzerung. Eine entsprechende "Panzerung" findet sich auch bei vielen "Stachelhäutern", z.B. den Seesternen und Seeigeln, die zwar Zweitmünder sind, aber genauso wie die Vordermünder in gepanzerter Analität verharren.

Zwar sind die Wirbeltiere (Zweitmünder), und damit auch Homo sapiens, mit ihrem Innenskelett keine Nachfahren der Gliedertiere (Vordermünder) mit ihrem Außenskelett und auch keine direkten Nachfahren der Stachelhäuter, die, obwohl auch Zweitmünder, eine Abzweigung von jener Linie darstellen, die die Hohltiere mit den Wirbeltieren verbindet, aber trotzdem könnte die Panzerung analer Tiere, wie z.B. Krebse und Seeigel, eine direkte Entsprechung der "Panzerung" des neurotischen Menschen sein. Es ist sicherlich kein Zufall, daß der anale Zwangscharakter mit seiner alles umfassenden Affektsperre, die "einen einzigen großartigen Krampf des Ich" darstellt und bei dem sich alle Muskeln des Körpers in chronischer Hypertonie befinden, für Reich das Urbild der Panzerung abgab (38:268).

Neben seiner Rolle als koordinierender Vermittlung zwischen Außen (Ektoderm) und Innen (Entoderm) bereitet das Mesoderm, aus dem sich sowohl die innere als auch die äußere Muskulatur entwickelt, gleichzeitig die "phallische Aggression" vor, da "Aggression die Lebensäußerung der Muskulatur ist" (31:120). Ursprünglich gibt es nur Lust und Angst. Reich schreibt dazu: "Die Sexualökonomie leugnet (...) den ursprünglichen Charakter der destruktiven Antriebe und läßt sie (...) aus den Funktionen der Sexual-Versagung einerseits, der Angst-Vermeidung andererseits phylogenetisch hervorgehen. Daß die Muskulatur, der Apparat der Destruktion, aus dem Mesoderm der Gastrula, also einer sekundären embryonalen Anlage hervorgeht, die Apparate der Sexual- und Angstfunktion dagegen schon im Einzeller gegeben sind, mag diese Auffassung entwicklungsgeschichtlich stützen" (37:43f).

Die phallischen Tiere der nächsten Stufe, also der vierten, strukturierten Phase, verkörpern die Orgonomform und das zentrale Nervensystem mit seinem Zentrum am Kopfende. Anders als vorher ist die ontogenetische Entwicklung aller Wirbeltiere ab dieser Phase so gut wie identisch, so daß man auch vom "phylotypischen Stadium" spricht. Die erste, okulare Phase haben wir ontogenetisch mit der Blastula, die zweite, orale mit der Gastrula und die dritte, anale mit der Keimblattbildung (Mesoderm) gleichgesetzt. In der Embryonalentwicklung der Wirbeltiere kommt es danach zur phallischen "Neurulation" und zur Bildung der Organanlagen. Auf der Oberseite des mittlerweile ovalen Embryos formt sich eine von zwei Wülsten begrenzte Abflachung. Diese Wülste bewegen sich langsam aufeinander zu, wobei die zwischen ihnen liegende flache Zellschicht nach unten sinkt. So bildet sich (beim Menschen am 19. Tag) die Neuralrinne. Durch Vereinigung der beiden Wülste wird daraus das Neuralrohr, welches sich am 26. Tag schließt: die Anlage für Rückenmark und Gehirn.

Mit den sogenannten "Primitivorganen" (Darm, Leibeshöhle, Ursegmente, Chorda dorsalis und Zentralnervensystem) ist die Struktur des Wirbeltierkörpers festgelegt. In den vorangegangenen ontogenetischen Phasen konnte man die Zellen, aus denen, z.B., später ein Auge hervorgeht, an einen beliebigen anderen Ort des Embryos verpflanzen, ohne daß dort ein Auge entstehen würde. In diesem Sinne ist das Embryo noch unstrukturiert. Verpflanzt man die besagten Augenzellen jedoch nach der Gastrulation, also in der phallischen Phase, an einen anderen Ort, entstünde dort ein (blindes) Auge.

Im Verlauf der phallischen Phase differenziert sich das Genital langsam aus der "Kloake", der funktionellen Einheit von After und Genitalapparat, heraus. Kriechtiere wie Krokodile und Schildkröten haben, im Gegensatz zu Amphibien, bereits einen Penis (die Echsen und Schlangen zwei "Hemipenes"), nur die altertümlichen Brückenechsen drücken, als noch teilweise "anale" Tiere, bei der Paarung Kloaken aneinander.(13) Bei Ameisenigeln und Schnabeltieren (den beiden primitivsten Säugern überhaupt) sitzt der Penis noch wie bei Reptilien an der unteren (ventralen) Wandung der Kloake, ist also nach hinten (kaudal) gerichtet. Beim Beuteltier liegt zwar bereits eine klare Trennung zwischen Anus und Penis vor, aber der Genitalapparat ähnelt mehr einer Vagina, z.B. ist beim Beuteldachs noch ein Urinkanal vorhanden, der in der Kloake endet. Erst die Känguruhs besitzen einen gemeinsamen Harnsamenleiter. Aber der Penis ist, wie bei allen Beuteltieren, immer noch kaudal gerichtet und liegt hinter dem Skrotum und dem (erstmals auftretenden) Hodensack. Erst bei den höheren Säugern ist die Kloake wirklich überwunden und der Penis ist, entsprechend dem Orgonom, im Vergleich zum Beuteltier um 180 Grad nach vorn geklappt. Aber selbst bei den echten Säugetieren gibt es eine Fortentwicklung, denn zunächst bleibt der Penisschaft über eine mehr oder weniger lange Strecke mit der Bauchhaut verbunden. Lediglich bei Primaten (und Fledermäusen) steht der Penis vollkommen frei vom Körper ab (19:221).

Die männlichen Keimdrüsen wandern im Laufe der Entwicklung langsam von der Mitte des Körpers in den Hodensack (den, wie bereits angedeutet, nur Säugetiere besitzen) und zwar sowohl in der Phylogenie als auch in der Ontogenie ("Descensus testis"). Was sich bioenergetisch hinter dieser Wanderung verbirgt, wird daran ersichtlich, daß bei einigen Säugetieren (z.B. bei vielen Nagetieren) die Hoden nur zur Zeit der Fortpflanzung in den Hodensack wandern.

Während der Penis (stets zusammen mit seiner Entsprechung: der Klitoris) verhältnismäßig früh auftritt, bildet sich der weibliche Genitalweg (Vagina) erst bei den Säugetieren aus. Imgrunde erst bei den Primaten. Bei den urtümlichsten Säugetieren, den Kloakentieren und Beuteltieren, finden sich zwei vollständig getrennte Uteri und Vaginae, die einzeln der Aufnahme des Spermas dienen und in einer gemeinsamen Körperöffnung münden. Ebenfalls zwei Gebärmütter, aber bereits nur eine Vagina, finden sich bei Nagetieren und Schleichkatzen. Vereint zu einem "zweihörnigen Uterus" sind die Gebärmutter-Kammern u.a. bei Insektenfressern und Halbaffen. Aber erst die höheren Affen besitzen einen einheitlichen Uterus (23:290).

Ontogenetisch folgt auf die unstrukturierte vorphylogenetische (okular, oral und anal) und die strukturierte phylogenetische (phallisch) die nachphylogenetische Entwicklungsstufe. Diese genitale Entwicklungsstufe ist dadurch gekennzeichnet, daß es erst hier zur eigentlichen Spezialisierung kommt, d.h. während der vorangehenden phallischen "Embryonalperiode" (4.-8. Woche) strukturiert sich aus dem allgemeinen Grundmuster "Wirbeltier" langsam die menschliche Gestalt, d.h. "im Alter von vier Wochen ist ein menschlicher Embryo kaum von irgendeinem anderen Wirbeltierembryo - Vogel, Reptil oder Säugetier - zu unterscheiden, mit sechs Wochen hingegen ähnelt er noch den übrigen Säugetierembryonen, und mit sieben Wochen nur noch den Embryonen anderer Primaten" (13:31). Mit acht Wochen ist die "Organogenie" abgeschlossen. Das Embryo ist vollständig integriert und man bezeichnet es als "Fetus": der Mensch "ist da" und braucht jetzt nur noch zu wachsen. Das tut er in der anschließenden genitalen Fetalperiode, während der zunächst das Längenwachstum und ab der 20. Schwangerschaftswoche die Gewichtszunahme im Vordergrund stehen.

Diese Einteilung in prägenitale Blastogenese, phallische Embryonalperiode und genitale Fetalperiode macht auch deshalb Sinn, weil die Folgen von äußeren Einflüssen auf die pränatale Entwicklung exakt denen der postnatalen Libidoentwicklung entsprechen. Freud selbst hat wiederholt diese Parallele gezogen (50:383). Sowohl die prägenitale Blastozyste als auch das prägenitale Kind reagieren auf schädigende Einwirkungen nach einem "Alles-oder-Nichts-Prinzip": entweder regeneriert sich die Blastozyste/das Baby oder sie/es stirbt. In der phallischen (ödipalen) Phase wird die unwiderrufliche Grundlage für die Charakterdeformation gelegt, entsprechend gehen auch die meisten angeborenen Mißbildungen auf schädigende Einflüsse während der phallischen Embryonalperiode zurück. Ist diese kritische Periode heil überwunden, kann das nunmehr genitale Kind mit psychischen Konflikten umgehen, ohne neurotisch zu erkranken, desgleichen wird während der genitalen Fetalperiode der Fetus mit schädigenden Einflüssen durch Abwehrreaktionen fertig ("Fetalkrankheiten").

Mit der genitalen, vollständig integrierten Phase, d.h. der Zusammenfügung aller Teilfunktionen zu einem selbstregulatorischen Ganzen ist der "Selbstwahrnehmungsprozeß" der kosmischen Orgonenergie abgeschlossen. Reich konnte in den 1930er Jahren diesen Funktionsbereich sowohl bei seinen Patienten im freigelegten "Orgasmusreflex" als auch unter dem Mikroskop bei den Einzellern und ihrer "orgastischen" Zellteilung beobachten ("Orgasmusformel").

 

 

5. Die Orgasmusformel

Mit Hilfe des Biogenetischen Grundgesetzes versuchte Freud die prägenitale Sexualität des Kindes mit Fortpflanzung zu verknüpfen, um so den sexuellen Charakter des infantilen Lustgewinns zu begründen. Prägenitale Sexualität sei sozusagen ein spätes Echo der Fortpflanzung der primitiveren Lebewesen unseres Stammbaums. Die Psychoanalyse räumte dergestalt zwar mit der falschen Anschauung auf, daß sexuell und genital ein und dasselbe sind, aber für sie galt immer noch, daß die Genitalfunktion, zu der die prägenitale Sexualität schließlich führen sollte, der Fortpflanzung dient und durch diese definiert sei. Reichs Ansatz war von vornherein anders geartet, denn für ihn waren Sexualität und Fortpflanzung zwei vollständig getrennte Bereiche: "(...) die genitale Aktivität der Tiere, den Menschen eingeschlossen, ist eine bioenergetische Funktion und ein Ventil für die Lebensenergie" (34:68).

Ausformuliert findet sich diese "Orgasmustheorie" in seinem 1927 erschienenen Buch Die Funktion des Orgasmus (in einer revidierten Fassung neu veröffentlicht unter dem Titel Genitalität [35]). Zur selben Zeit bespricht er die Allgemeine und spezielle Pathologie der Person von Friedrich Kraus (28). Reich betrachtet das Konzept der "Tiefenperson" als den zentralen Gedanken von Kraus' Buch. Sie macht den vitalen "spontan dranghaft schöpferischen" Kern des Menschen aus. In psychoanalytischen Begriffen ist sie, so Reich, die "somatische Libido", die, wenn man Kraus folgt, identisch ist mit den im Zellchemismus begründeten bioelektrischen Oberflächenspannungen an den Membranen des Körpers und deren elektrolytischem Ausgleich, der wiederum von mechanischen Flüssigkeitsbewegungen begleitet wird.

In dieser Vorstellung eines ständigen Wechsels im biologischen Erregungssystem von Ladung und Entladung, Quellung und Entquellung kündigt sich unmittelbar Reichs spätere "Orgasmusformel" an, deren Abfolge mechanische Spannung - bioelektrische Ladung - bioelektrische Entladung - mechanische Entspannung an Erektion und Ejakulation des Mannes unmittelbar evident wird.(14)

Zur theoretischen Fundierung dieser Formel ergänzte Reich Anfang der 1930er Jahre Kraus' "vegetative Strömung" um die Theorie der "Protoplasmaströmung" des Biologen Max Hartmann. Diese Strömung kann man unmittelbar an der Amöbe beobachten, wenn sie ihre Pseudopodien ausstreckt und zusammenzieht. Hartmann führte die Bewegung der Pseudopodien auf die Vergrößerung bzw. Verkleinerung der Oberflächenspannung der Außenmembran zurück. An dieser internen Plasmabewegung vom Kern weg und auf den Kern zu wird unmittelbar der Gegensatz von Lust und Angst einsichtig. Mit Hilfe der Darstellung, die der Physiologe L.R. Müller über das in Parasympathikus (Lust) und Sympathikus (Angst) gespaltene vegetative Nervensystem lieferte, übertrug Reich diesen "vegetativen Gegensatz" einerseits auf das Funktionieren höherer Lebewesen und folgte ihr andererseits, aufgrund der funktionellen Identität mit dem entsprechenden chemischen Gegensatz von Kalium und Calcium, bis hinab zur Biochemie und Biophysik.

Im Rückgriff auf Hartmann zeigt Reich, daß die Spannungs-Ladungs-Vorgänge, die für die Sexualität charakteristisch sind, nicht nur bei der sexuellen, sondern auch bei den zwei Arten der sogenannten "asexuellen" Fortpflanzung wirksam ist, also bei Zellteilung und Knospung bzw. Sprossung. Bei der Zelle ist der Spannungsdruck gegen die Membran vor der Teilung höher als danach jeweils in den beiden Tochterzellen.(15)

Betrachtet man Sexualität als Ladungs- und Spannungsabbau, hat auch die Zelle einen Orgasmus. Diese Form von "zellulärem Orgasmus" bildet den historischen Anfang und den aktuellen Kern jedes Metazoons. Das Spermium verursacht durch sein Eindringen in die Eizelle dessen Spaltung, die sich im folgenden immer weiter fortsetzt, nicht nur bis der Vielzeller ausgewachsen ist, sondern bei einem Großteil der Zelltypen bis zum Lebensende des Metazoons.

Wenn die Auslösung der Zellteilung durch Eindringen des Spermiums primär ein energetisches Phänomen ist, verdient die sogenannte "Pseudogamie", wie sie bei einigen wenigen Arten "parthenogenetischer" Fische und Salamander auftritt, besondere Beachtung. Die Vertreter der entsprechenden Tierarten sind durchweg weibliche Klone, die das Sperma nahe verwandter Arten brauchen, um die Eier sozusagen zu "aktivieren", d.h. zur Zellteilung anzuregen. Dieses Sperma hat keinerlei "genetische", sondern eine rein energetische Funktion, da es nicht zu einer Vermischung des Erbguts kommt.(16) Diese Vermischung ist von sekundärer Bedeutung, obwohl sie für die mechanistische Biologie Dreh- und Angelpunkt all ihrer Betrachtungen ist. "Weitergabe der Gene" und Sexualität sind, wie man sieht, aber ganz und gar nicht dasselbe!

Die notwendige experimentelle Fundierung der Orgasmusformel versuchte Reich zunächst mit Hilfe der schon erläuterten bioelektrischen Experimente von 1935 zu erbringen. Ihnen folgte eine direktere Herangehensweise. Zunächst versuchte er die von Hartmann beschriebene Plasmaströmung unmittelbar bei Amöben und anderen Einzellern zu beobachten. Für diese Experimente besorgte er sich Protozoenpräparate aus einem Botanischen Institut. Fertigte sie dann aber schließlich selbst an, nachdem er erfuhr, daß man dazu nur getrocknetes Gras in Wasser aufweichen müsse.

Geduldig beobachtete er die eingeweichten Grasfasern unter dem Mikroskop, um die Anfänge der Plasmaströmung in der Entwicklung der Amöben auszumachen. Bei dieser ungewöhnlichen Herangehensweise stieß er auf den blasigen Zerfall der Grasfasern und die spontane Organisation von Protozoen aus den Zerfallsprodukten. Die Fasern zersetzten sich zu Bläschen, die sich zu Haufen reorganisierten, um die sich eine Membran bildete. Geriet bei diesen Bläschenhaufen der Inhalt der Membran in Kreisbewegung und organisierten sich die kleinen Bläschen zu größeren Einheiten, entwickelten sich aus den Haufen Pantoffeltierchen (Paramaecium). Ruhende Bläschenhaufen, in denen die Bläschen zu einer homogenen Masse zerflossen, entwickelten sich zu Amöben. Glockentierchen (Vorticella) behielten den Bläschencharakter bei. Diese Übergangsform zwischen den unorganisierten runden Bläschenhaufen und langgestreckten Pantoffeltierchen bezeichnete Reich als "Org-Tierchen", weil sie aus einer gestreckten Form in die Kugelform "orgastisch" zurückzucken konnten.

Mit der Zuführung von Strom bei seinen Protozoen-Präparaten versuchte Reich die Ladung aus der Spannungs-Ladungs-Formel zu applizieren, konnte aber nur, wie zuvor Hartmann, eine Beschleunigung und bei höherer Stromzufuhr ein Absterben der Plasmaströmung beobachten. Weiter führte der Versuch, die Orgasmusformel von der mechanischen Spannung her zu untersuchen. Dazu ließ er verschiedene Stoffe in Lösungen quellen (Spannung), was er durch Erhitzen beschleunigte. Es kam (wie zuvor bei den Grasfasern) zu einem bläschenartigen Zerfall der untersuchten Stoffe. Bei den so entstehenden blau bis blaugrün schimmernden Visikeln konnte er elektrische Ladung nachweisen (Erde und Kohle ergaben positiv geladene Bläschen, Lezithin, Moos und Muskelgewebe negativ). Unter starker Vergrößerung war in den Visikeln eine innere Bewegung zu erahnen. Bei noch stärkerer Vergrößerung wurden die Strukturen nicht schärfer, aber dafür die Bewegung in den Visikeln, die er bald als "Bione" bezeichnete, eindeutiger. Auf Nährböden waren sie kultivierbar. Er identifizierte sie als Übergangsformen zwischen toter und lebender Materie.

Durch seine Beobachtungen und Experimente konnte Reich verifizieren, daß die Orgasmusformel am Grunde des Lebensprozesses steht und ihn durchgehend bestimmt. Was die Zweigeschlechtlichkeit anbetrifft beobachtete er unter dem Mikroskop, wie sich die primitivsten überhaupt denkbaren Lebensformen, Erd- und Kohlebione, gegenseitig nähern, erregen, Strahlungsbrücken bilden und schließlich miteinander verschmelzen. Wobei, so Reich, zwischen Fressen (einer "oralen Tätigkeit") und Kopulation (einer "genitalen Tätigkeit") nicht zu unterscheiden sei.(17)

Dies sei selbst noch im Vielzeller der Fall, wenn man die Vorgänge funktionell betrachtet: "Energetisch gesehen (...) ist der Vorgang, der sich zwischen dem Mund des Säuglings und der mütterlichen Brustwarze abspielt, genau das gleiche wie der zwischen der Scheide und dem erregten männlichen Organ. (...) Erst jetzt begreifen wir biophysikalisch die so grundsätzliche Entdeckung Freuds, daß die Säuglingsmundzone ebenso ein sexuell erregtes Organ darstellt wie die erregte mütterliche Brustwarze." Die Unterscheidung, so Reich weiter, zwischen Nahrungsaufnahme und Sexualakt bei Bionen oder Menschen ist sekundär. "Wichtig ist uns das Wesentliche am Vorgang, das Gemeinsame mit allen grundsätzlichen biologischen Funktionen, sei es Fressen, sei es Konjugation, Kopulation, Zygotenbildung oder der Geschlechtsakt des Metazoon" (33:66f).

 

 

6. Der Orgasmusreflex

Reich hat entdeckt, daß die orgastische Zuckung das gesamte Tierreich an den Wurzeln seiner bioenergetischen Existenz beherrscht (42:23f). Er bezog sich hierbei nicht nur auf das Niveau der Zellteilung. Vielmehr fand er den Orgasmusreflex "auch beim Embryo in der typischen nach vorn gestreckten Haltung und Zuckung des Schwanzendes, in der wippenden, bioenergetischen Vorwärtsbewegung des Schwanzendes vieler Insekten, wie der Wespen, Bienen, Hummeln, und auch in der gewöhnlichen Stellung des Beckens und der Hinterbeine bei den Spezies der Hunde, Katzen und Huftiere" (42:62, Übersetzung verbessert). So sei der Orgasmusreflex "neben der Atmung die wichtigste Bewegungserscheinung im Tierreich" (38:482, siehe auch 29:108).

Reich setzt die orgastische Zuckung sogar mit dem von einer "Akme" begleiteten Ausstoßen des Laichs bei Fischen und des Spermas bei Landtieren gleich (38:518). Der Koitus sei bei allen Tieren das Ventil der Lebensenergie (34:183, siehe auch 42:12). In seiner Beschreibung der genitalen Umarmung präsentiert Reich "Vögel, Kröten, Schmetterlinge, Schnecken, sich paarendes Wild oder andere freilebende Tiere" als Beispiele für orgastische Potenz (34:76). Im gleichen Absatz beschreibt er das Liebesspiel zwischen zwei Schmetterlingen.

Bereits Mitte der 1920er Jahre stellte er fest, daß "zahlreiche Beispiele aus Klinik, Alltagsleben und dem Leben der Tiere" die Abhängigkeit des "Destruktionstriebes" von der Sexualstauung gezeigt hätten: "Ich erkundigte mich nach dem Verhalten wilder Tiere und erfuhr, daß sie harmlos sind, wenn sie satt und sexuell befriedigt sind. Stiere sind nur dann wild und gefährlich, wenn sie zur Kuh geführt, nicht aber, wenn sie wieder weggeführt werden. Hunde sind an der Kette sehr gefährlich, weil Motorik und sexuelle Entspannung behindert sind" (31:121, vgl. 35:184.190). Er verweist auf Muskelkontraktionen, die während des Orgasmus von Hunden gemessen wurden (35:96). Anfang der 40er Jahre bringt er Brustkrebs bei weiblichen Mäusen damit in Zusammenhang, daß sie kein natürliches Sexualleben haben. Ähnliche Wirkung hätte die Sexualstauung bei Mäusemännchen. Jene, die abstinent gehalten wurden, entwickelten leichter Krebs, insbesondere Hodenkrebs (33:295).

Doch leider hat sich Reich nie ausführlich mit der Sexualität der Tiere beschäftigt, was doch nahegelegen hätte, weil hier das Problem der Panzerung wegfällt. Bis auf die angegebenen vereinzelten Stellen verwies er stets auf Einzeller und vor allem auf "Weichtiere", wenn es darum ging, den Orgasmusreflex zu illustrieren. Er sei funktionell identisch mit der Bewegung einer Qualle, so daß eine vegetotherapeutische Entpanzerung beim Patienten eine biologische Bewegungsform mobilisiert, die bis zum Quallenstadium zurückreicht. Auf diese Weise lebe die phylogenetische Vergangenheit im aktuellen bioenergetischen Funktionieren der hochentwickelten Vertebraten fort. "Die Entwicklung komplizierter Funktionen im Organismus, die wir 'höher' nennen, verändert nichts an Existenz und Funktion der 'Qualle im Menschen'. Es ist gerade diese Qualle im Menschen, die seine Einheit mit der niedrigen Tierwelt darstellt" (38:517-519).

Bei den höheren Tieren wird die orgonotische Pulsation im Gefäßsystem evident, insbesondere im Pulsschlag. "Am Darm erscheint sie als in distaler Richtung verlaufende Kontraktions- und Expansionswelle, als 'Peristaltik'. An der Harnblase funktioniert die biologische Pulsation auf den Reiz der mechanischen Expansion durch Harnfüllung" (33:169f). Dergestalt wird das gesamte Tierreich von der Orgasmusformel bestimmt. Doch das Spezifische des eigentlichen Orgasmus ist, daß hier der zweite Teil der Formel (Entladung-Entspannung) schneller, nämlich konvulsiv, abläuft als in einer normalen Pulsation (30:108). Die orgastische Zuckung ist nichts anderes als beschleunigte Pulsation, die eine klonische Form annimmt (38:518). Nirgends macht Reich deutlich, daß Tiere zwar durch und durch nach der Orgasmusformel funktionieren und damit natürlich auch ihre Sexualität, diese aber nicht unbedingt mit konvulsorischen Zuckungen verbunden sein muß, die Entladung und Entspannung begleiten und die man stets bei der Zellteilung und beim menschlichen Orgasmus findet.

In Gestalt der Spannungs-Ladungs-Formel ist die Funktion des Orgasmus phylo- und ontogenetisch allgegenwärtig, doch im Speziellen, d.h. im Sinne der Zusammenfassung der verschiedenen Teilpulsationen zu einer den gesamten Organismus als Einheit erfassenden Plasmazuckung am Höhepunkt der Genitalen Umarmung hat die Genitalität eine Entwicklungsgeschichte. Daß diese Überlegung Reich, trotz der eingangs angeführten Zitate, nicht ganz fremd war, läßt sich aus seiner etwas kryptischen Bemerkung ablesen, wonach die mit dem Orgonom verbundenen biologischen Erscheinungen, die im Orgasmusreflex gipfeln, im gesamten Tierreich auftreten, "mit Ausnahme der Tierarten, die über das Stadium der primitiven Orgonomform der Qualle nur wenig hinausgelangt sind" (42:62). Offenbar meint er damit anale Tiere wie den Seeigel.

Obwohl Reich die Genitale Umarmung mit Beispielen aus der Tierwelt illustriert, findet man im Zwischenreich, das sich in der Evolution vom Protozoon bis zum Menschen erstreckt, wirklich alle möglichen und unmöglichen Formen menschlicher Sexualität, aber ausgerechnet für die genitale Umarmung kein einziges. Man braucht sich nur Bücher mit Titeln wie Die raffinierten Sexpraktiken der Tiere (17) oder das populäre Lexikon über Das bizarre Sexualleben der Tiere (26) zu Gemüte führen. Wer nun einwendet, daß sich bei den verschiedenen Tieren die Genitalität halt jeweils anders ausdrücken würde, sagt praktisch dasselbe wie jener, der behauptet (was tatsächlich häufig geschieht), daß sich bei Homosexuellen die Genitalität anders äußere als bei Heterosexuellen: er führt die genitalorgastische Theorie ad absurdum.

Betrachtet man die Kopulation im Tierreich im einzelnen, etwa die Dauer des Aktes, wird offensichtlich, daß hier nicht energetische Funktionsgesetze, sondern die "mechanische" Adaption an Umweltbedingungen bestimmend ist. Während z.B. die meisten unter einem unglaublichen Druck von Raubfeinden stehenden Nagetiere nicht einmal zwei Sekunden in der Scheide verweilen, finden sich lange Paarungszeiten meistens bei Räubern, die selbst kaum Feinde haben. Etwa bei den Mardern (zwei Stunden) oder Frettchen (drei Stunden). Pflanzenfresser, wie das Nashorn, die sich eine Stunde und länger für den Koitus Zeit nehmen, können sich das leisten, weil sie ebenfalls kaum Raubtiere zu fürchten haben, während die hochgefährdeten Wiederkäuer extrem kurze Begattungszeiten haben (52:208f).

Weder der Marathon des Nashorns, mit seinen 50 Samenergüssen pro Koitus, noch der Sekundenakt der Rinder und Hirsche wollen so recht zu Reichs Orgasmustheorie passen. Das erstere ist ganz auf den sicheren Erfolg der Fortpflanzung ausgerichtet, von "Spermienkonkurrenz" bestimmt - oder was auch immer für ausgefeilte Strategien der "egoistischen Gene" dahinter stecken mögen. Auf der anderen Seite kann man ausgerechnet beim Sekundenakt der von ängstlicher Eile getriebenen Wiederkäuer etwas finden, was dem Orgasmusreflex nahekommt: den sogenannten "Propulsus". Der Stier, Bock oder Hirsch führt nach dem Aufreiten und heftigen Suchbewegungen seine Penisspitze in die Vagina ein. Beim Eindringen streckt sich der Penis weiter und im Moment der stärksten Streckung erfolgt die Ejakulation. Gleichzeitig macht das Männchen einen Sprung nach vorn (= Propulsus), wobei es sich mit den Hinterläufen völlig vom Boden abhebt. Es streckt die Hüft- und Kniegelenk, beugt sich im Lumbosakralgelenk und zieht die Bauchmuskeln zusammen (52:209).

Leider paßt die Teilnahmslosigkeit, die die Kuh währenddessen an den Tag legt, weniger zur Orgasmustheorie. Einen ähnlich auffallenden Unterschied zwischen weiblicher und männlicher Sexualität findet man bei den Nashörnern, bei denen der Akt wie gesagt anderthalb Stunden dauern kann, wobei der Bulle alle ein bis zwei Minuten ejakuliert. Bezeichnenderweise steigt dabei seine Hauttemperatur bis auf 35°C, während das Weibchen mit 28°C im wahrsten Sinne des Wortes "kühl" bleibt (26:178). Stand der Zoologie ist, daß zwar viele Arten von Säugetiermännchen einen Orgasmus erleben, Hochgefühle bei Weibchen jedoch bisher nur an Affen beobachtet wurden (26:191).

Ein weiteres Beispiel für die "orgastische Potenz" der Männchen findet sich bei den Ratten. Während normalerweise das Rattenmännchen, wie alle anderen Männchen im Tierreich auch, nach dem Koitus eine mehr oder weniger lange Pause benötigt, bevor es wieder geschlechtlich aktiv werden kann, ist eine Laborratte, die man unter Vollnarkose zu "Elektro-Ejakulationen" gebracht hat, sofort wieder zum Koitus bereit. Der normale Koitus der Ratten besteht aus zwei Komponenten: "erstens aus einer Reihe sanfter Stöße rund um oder genau in die Vaginalöffnung und zweitens aus einem einzigen Stoß tief in die Vagina, nach dem das Männchen seinen Penis dann zurückzieht und vom Weibchen absteigt" (16:369). Dies entspricht offenbar dem erwähnten "Propulsus". "Naht (...) ein Rattenmännchen dem Höhepunkt, stößt es noch einmal kräftig zu, hält dann inne, richtet sich auf und bekommt einen glasigen Blick" (26:191). Bei der Breitfußbeutelmaus ist es sogar so, daß das Männchen sich durch die heftigen Zuckungen, die den Geschlechtsakt begleiten, dermaßen verausgabt, daß es kurz danach an Erschöpfung stirbt.

Bei allen, aus orgonomischer Sicht mehr oder weniger ernüchternden, Betrachtungen über das Sexualleben der Tiere muß in Erwägung gezogen werden, daß wir gezwungen sind, die Tierwelt durch die Brille von Biologen zu betrachten, die vollständig auf genetisch fest programmiertes Verhalten und die Weitergabe der Gene fixiert sind. Bei diesem Tunnelblick bleibt genau das ausgeblendet, was der Orgonomie wichtig ist: die Emotionen.

Bisher hat die Evolutionsbiologie den Tieren zweckfreies Handeln, die schiere "Lust an der Funktion" (spielen, lachen, lieben, Unsinn machen, sich vergnügen, fröhlich sein, Lebensfreude, etc.) weitgehend abgesprochen, da sie im "Kampf ums Überleben" allenfalls dann nutzt, wenn sich Jungtiere im Spiel auf den Ernst des Lebens vorbereiten. In seinem Buch Pleasurable Kingdom (Animals and the Nature of Feeling Good) protestiert der kanadische Verhaltensforscher Jonathan Balcombe gegen diese faschistoide Weltsicht eines Richard Dawkins, der in der Natur nur ein Hauen und Stechen sieht. Der Ausschluß der Emotionen aus der Betrachtung, d.h. der Ausschluß des Lebendigen, habe mit Wissenschaft wenig zu tun (4).

Immerhin gibt es Biologen wie den Verhaltensforscher Immanuel Birmelin. Bei Wellensittichen hat er ein aus soziobiologischer Sicht überraschendes Verhalten beobachtet; ein Verhalten, das bei anderen Biologen mit Sicherheit durch das Wahrnehmungsraster gefallen wäre: "Paare, die sich häufig kraulten, kopulierten auch ab und zu - außerhalb der Paarungszeit, wohlgemerkt, also nicht zu Fortpflanzungszwecken. Weniger kraulfreudige Paare dagegen kopulierten in solchen Zeiten nie - obwohl die äußeren Bedingungen für alle Wellensittiche dieselben waren" (1:161). Bei den zärtlichen Wellensittich-Paaren, die intensiver und länger balzen und deren Kopulationsakte länger dauern als bei "normalen" Wellensittichen, kommt aggressives Verhalten seltener vor. Vielleicht - nein, mit Sicherheit ließe sich diese Beobachtung auf alle Vögel und Säugetiere ausweiten (Birmelin erwähnt in diesem Zusammenhang die affenartigen Tupaja-Spitzhörnchen), aber leider fällt eine solche sexualökonomische Betrachtungsweise aus dem Begriffsrahmen der auf Fortpflanzung fixierten Biologen. Zum Beispiel hat das erwähnte Verhalten der "zärtlichen Wellensittiche" keinerlei positive oder negative Auswirkung auf Anzahl und Gewicht ihrer Kinder - und ist damit kein Thema der Soziobiologie.

Der modernen Biologie zufolge dreht sich alles um die bereits erwähnten "egoistischen Gene". Zum Beispiel sammelt bei den meisten Herdentieren das Leitmännchen einen Harem um sich, "um", so interpretieren es die heutigen Biologen, seine Gene möglichst effektiv weiterzugeben. Selbst wenn man die kurzschlußartigen Metaphern der Soziobiologie akzeptiert,(18) macht die Interpretation der Soziobiologen trotzdem wenig Sinn, denn in der Realität ist es so, daß die vorgeblichen Versager heimlich in den Büschen ihre Gene an die Weibchen weitergeben, die der Chef sich mühsam zusammengeklaubt hat. Bei den Guppyfischen Limia perugiae geht das soweit, daß kein einziges Junges vom dominanten Männchen stammt (26:22).

Das ist mehr als nur "ein unvermeidlicher Fehler im System", wie die Soziobiologen behaupten, sondern deutet auf eine zweite Naturkraft neben dem rein mechanischen Prinzip der Auslese (vgl. Hans Hass und der energetische Funktionalismus). Diese "zweite Naturkraft", d.h. die orgonotische Erstrahlung und Überlagerung, kulminiert schließlich in der menschlichen Genitalität.

Bei den Schimpansen führt "offiziell", also durch Verhaltensforscher beobachtbar, das Alpha-Männchen 80% aller Paarungen durch. An den Genen der Kinder ist jedoch abzulesen, daß offenbar doch weit mehr andere Männchen zum Zuge kommen, als es nach außen hin den Anschein hat. Bei einer Schimpansengruppe hat man sogar beobachtet, daß die Hälfte aller Kinder Seitensprüngen mit Männchen benachbarter Gruppen entstammte. "Den Verhaltensforschern war derlei 'Untreue' entgangen - Beleg für die extreme Heimlichkeit, mit der Weibchen sexuelle Abenteuer suchen und finden" (47:92).(19)

Der Grund für diese "extreme Heimlichkeit" erschließt sich, wenn man die Schimpansen (und Bonobos) auf der einen Seite mit den Orang-Utans und Gorillas auf der anderen Seite vergleicht. Während bei den Schimpansen zwischen Intromission und Ejakulation nur 7 oder 8 Sekunden mit 10 bis 15 Friktionen vergehen (bei den Bonobos das Doppelte), sind es bei Orang-Utans 15 Minuten und bei Gorillas immerhin anderthalb Minuten. Der Unterschied beruht darauf, daß die beiden letzteren die Weibchen für sich haben, während bei den Schimpansen und Bonobos die restlichen Männchen sozusagen schlangestehen. Hier sieht man wieder, wie rein "mechanische" Faktoren die energetischen Gesetzmäßigkeiten überspielen - die in der "extremen Heimlichkeit" sozusagen ihr Refugium suchen.

Die Schimpansin hat während ihrer 10 empfängnisbereiten Tage im Monat im Durchschnitt 100 mal Geschlechtsverkehr (das kann bis zu 50 mal am Tag sein, oft mit mehr als 10 Männchen). Bonobos haben sogar durchgehend, d.h. unabhängig vom Monatszyklus, Sex, im Durchschnitt alle 90 Minuten. Im krassen Unterschied dazu ist es bei den Gorillas so, daß der Pascha sich nur im Abstand von Jahren mit einer seiner Haremsdamen paart, nämlich immer dann, wenn ihr jüngstes Kind entwöhnt ist. Das ist der Hintergrund, vor dem man die traurige Tatsache interpretieren muß, daß ein neuer Pascha alle noch nicht entwöhnten Kinder tötet, wenn er den Harem übernimmt: es sind Rivalen, die im Wege stehen. Daß es dem neuen Pascha nicht um seine "egoistischen Gene", sondern nur um seine Lust zu tun ist, sieht man bei den Mantelpavianen. Dort entwickeln die Weibchen beim Machtwechsel eine vorgetäuschte Brunstschwellung, ohne daß ein Eisprung vorliegt (der erst wieder erfolgt, wenn die Kinder abgestillt sind). Der neue Pascha besteigt die Weibchen - und läßt deren Kinder in Ruhe (26:205f).

Ohne die Orgasmustheorie kann man biologische Vorgänge einfach nicht verstehen. Aus soziobiologischer, also "fortpflanzungsbiologischer", Sicht bleibt sogar die Frage offen, warum 99,9% aller Tiere zweigeschlechtlich sind (17). Warum gibt es Sexualität, die doch dazu führt, daß die angeblich "egoistischen Gene" buchstäblich zerschredert werden? Die stichhaltigste Erklärung für das Phänomen Sexualität, die die Schulbiologie vorzubringen hat, ist noch die These, daß nur so das Immunsystem durch Rekombination der Gene in jeder Generation neu ausgerichtet werden kann, um etwa Parasiten abzuwehren. Doch konnte vor kurzem gezeigt werden, daß dieses "Wettrüsten" die sexuelle Fortpflanzung nur in Ausnahmefällen erklärt. Sarah Otto (University of British Columbia) und Scott Nuismer (University of Idaho) kritisieren, daß bisher jene Arten unberücksichtigt blieben, bei denen sich sexuelle und asexuelle Fortpflanzung abwechseln. In Computersimulationen der beiden Forscher wurde nur in einem der fünf Evolutionsmodelle die Genvariante für sexuelle Fortpflanzung häufiger. Bei dieser entstehen nämlich nicht nur Genkombinationen, die bessere Überlebenschancen bieten, sondern es gehen auch gute Genkombinationen wieder verloren (27).

Und selbst wenn die gängige Erklärung für die Sexualität richtig wäre, frägt sich, warum denn die Weibchen nicht einfach zusätzlich Sperma erzeugen, um sich dann wechselseitig in einer "Kreuzbefruchtung" (wie sie z.B. bei vielen zwittrigen Schneckenarten auftritt) zu begatten. Männchen sind einfach überflüssig - und, wie bei den Gorillas, sogar gemeingefährlich!(20) Und wenn schon Männchen, warum gibt es dann bei den meisten Tierarten genauso viele imgrunde überflüssige Männchen wie absolut unverzichtbare Weibchen?

Daß das Weibliche das Primäre ist, sieht man z.B. an der Entwicklung des menschlichen Embryos. Bis zur siebten oder achten Schwangerschaftswoche ist es ein Zwitter. Die weitere Entwicklung hängt von männlichen Hormonen ab, die aufgrund eines XY-Chromosomensatzes ausgeschüttet werden. Verhindert man diese Ausschüttung durch Entfernen der männlichen Keimdrüsen, wird der Embryo zur Frau, egal wie der Chromosomensatz aussieht. Man kann also genetisch ein Mann, physiologisch aber eine Frau sein. Das Mannsein ist sozusagen eine Abzweigung der natürlichen Entwicklungslinie.

Ähnlich sieht es in der Phylogenie aus. Bei weniger entwickelten Wirbeltieren ist die Geschlechtertrennung verschwommen, es liegt "relative Sexualität" vor und das Geschlecht wird von den Umständen bestimmt oder ändert sich im Verlauf der Entwicklung. Bei den Krokodilen, Echsen und Schildkröten ist es z.B. so, daß das Geschlecht davon abhängt, bei welcher Temperatur das Ei ausgebrütet wird. Erst bei entwicklungsgeschichtlich höheren Tieren (Vögel und Säugetiere) ist das Geschlecht genetisch festgelegt. Die endgültige, d.h. genetische, Trennung der Geschlechter erfolgt also erst relativ spät im Verlauf der phallischen Phase. Diese Geschlechterdifferenzierung ist funktionell identisch mit dem Gegensatz von Fortpflanzung und Sexualität. Während die Weibchen in der absolut unverzichtbaren Fortpflanzungsfunktion beharren, ohne viel von der Sexualität zu haben, dreht sich das an sich ziemlich überflüssige Leben der Männchen praktisch ausschließlich um Sexualität.

Offenbar ist, wie bereits angeschnitten, in der Evolution ein zusätzlicher Faktor wirksam, der sich insbesondere in den "überflüssigen Männchen" zeigt: die Orgasmusfunktion, die sich bei ihnen tendenziell früher "befreit" hat als bei den Weibchen. Charakteristisch für diese Tendenz ist das Beispiel der Bärenmakaken, bei denen die Männchen das sogenannte "Orgasmusgesicht" praktisch jedes mal auf dem Höhepunkt des Verkehrs zeigen, die Weibchen jedoch durchschnittlich nur einmal bei sechs Paarungen (9:152). Bezeichnenderweise werden die Makaken-Weibchen "orgasmischer", wenn sie durch eigenes Aufreiten die männliche Sexualität sozusagen "nachäffen". Dieses lesbische Verhalten ähnelt in jeder Beziehung der heterosexuellen Kopulation, nur daß der homosexuelle Kontakt wesentlich länger dauert (zwei bis drei Minuten). Die aufreitenden Weibchen zeigen die gleichen Reaktionen, wie sie für männliche Orgasmen typisch sind: sie halten am Ende der Beckenstöße ein, versteifen den Körper, der dann von leichten Muskelkrämpfen geschüttelt wird, wobei die Lippen sich zum typischen "O-Mund" runden und ein rhythmisch-stöhnendes Ausatmen hörbar wird.

Diese Makaken-Weibchen kommen zum Orgasmus, indem sie ihre Klitoris auf dem Rücken der Partnerin reiben. Bei den Rhesusaffen stimulieren die aufreitenden Weibchen ihre Klitoris gleichzeitig mit der Hand, "wobei ihnen manchmal die Partnerin hilft. Beim Orgasmus reagieren die aufreitenden Weibchen genau wie ejakulierende Männchen: deutliche Pause, Vorneigen des Rumpfes und - wie es eine Studie formuliert - 'ein Blick in den Raum, der nichts fixiert'" (48:91). Einem aufreitenden Weibchen, das ihre Klitoris auf dem Rücken der Partnerin rieb, wurden vorher Sender implantiert: beim Orgasmus steigerte sich die Frequenz der Herztöne und im Uterus kam es zu intensiven Kontraktionen (26:192).

Die weibliche Homosexualität hat bei Primaten sicherlich deshalb eine so große Bedeutung, weil die Körperhaltung des aktiven Partners und die Stimulation, die er (bzw. sie) dadurch erfährt, eher zum Orgasmus führen, als es bei natürlichem Verhalten des Weibchens der Fall wäre. Während nämlich beim normalen Geschlechtsverkehr das aufspringende Männchen vollkommen in Übereinstimmung mit dem energetischen Orgonom funktioniert, muß das Weibchen den Rücken nach hinten krümmen, um seine Genitalien darzubieten. Diesen "Lordosis-Reflex", also Kauerstellung mit emporgerecktem Hinterteil, findet man bei vielen Säugern und den Primaten - außer bei Bonobos und Menschen. Dem Orgonom entsprechend ist bei beiden das weibliche Genital so nach vorn gerichtet, daß die angebliche "Missionarsstellung" naturgegeben ist.

Es sieht alles danach aus, daß die Weibchen nicht nur "orgasmischer" werden, wenn sich ihr Verhalten, sondern auch wenn sich ihre Physiologie jener der Männchen angleicht. Während Makaken- und Rhesusaffen-Weibchen gegenseitig aufreiten, reiben Bonobo-Weibchen aufgrund ihrer veränderten "männlichen" Anatomie die Genitalien aneinander und umschlingen sich dabei von Angesicht zu Angesicht. Durch dieses gegenseitige Bereiten von Orgasmen bildet sich zwischen den Partnerinnen eine enge Solidarität, die die Grundlage einer regelrechten Weiberherrschaft bildet. Da, wie bei den Schimpansen, auch bei den Bonobos die Weibchen in jungen Jahren aus fremden Gruppen zuwandern, hat diese enge weibliche Solidargemeinschaft, zur Verwirrung der Soziobiologen, nichts mit Genverwandtschaft zu tun. In unserem Zusammenhang ist von Bedeutung, daß bei diesem "Matriarchat" tatsächlich ein Patriarchat mit umgekehrten Vorzeichen vorliegt, in dem die Männchen eine eher untergeordnete Position einnehmen, während die Weibchen ein "männliches" Verhalten an den Tag legen - und deshalb "orgasmisch" werden.

Leider muß das Geschlechtsleben der Bonobos (und anderer Affen) für die Propagierung der "Natürlichkeit" von Homosexualität und anderen Perversionen herhalten. Man schwadroniert vom "Liebesleben ohne Limits" und fühlt sich bei den Bonobos an das "Orgien-Repertoire von Pornofilmen" erinnert (47:126). Der britische Biologe Steven Rose nennt die entsprechenden Ausführungen seiner Kollegen schlicht "Zeugs": manchmal "beschleicht einen, wenn man derartiges Zeug liest, (...) das erdrückende Gefühl, Zeuge der abseitigen sexuellen Phantasien von Biologenkollegen zu sein" (44:228).

Tatsächlich findet man bei den Bonobos ganz im Gegenteil erste Anzeichen von echter Genitalität. Zum Beispiel lassen die Weibchen den heterosexuellen Geschlechtsverkehr nicht einfach über sich ergehen, sondern signalisieren durch Lautäußerungen und Mimik ihre freudige Anteilnahme. "Bonobofrauen entblößen beim Koitus häufig ihre Zähne zu einem Freudengrinsen, besonders gegen Ende, wenn die Stöße des Mannes tiefer und langsamer werden. (...) Geschlechtspartner sehen sich häufig an, so daß sie mimische und akustische Äußerungen ihres Gegenübers genau registrieren können, und der Austausch wird sehr intensiv und intim. Es kommt sogar vor, daß sexuelle Aktivitäten abgebrochen werden, wenn beide Partner nicht 'dieselbe Wellenlänge' haben." Die koitalen Friktionen verändern sich mit Mimik oder Lautäußerungen des Gegenübers. Die Paarung wird abgebrochen, wenn der Partner den Augenkontakt vermeidet oder sein Desinteresse auf andere Weise zeigt (11:104f).

 

 

7. Die Orgasmusfunktion

1947 hoffte Reich, seine weitere Forschung würde die Annahme stützen, "daß das Menschentier das einzige Werk der Natur ist, dessen Funktionieren durch ein dazwischentretendes Hindernis, den Panzer, blockiert und verändert wird" (30:62). Tatsächlich mußte er jedoch fünf Jahre später, als er das DOR und die "atmosphärische Panzerung" entdeckte, feststellen, daß die "Irrationalität" auch außerhalb des Menschen in der Natur verankert ist.

Entsprechend gibt es Hinweise, daß schon bei Affen der gleiche Abpanzerungsprozeß einsetzt wie bei Menschen, wenn sie dem Druck der Wüste ausgesetzt sind.(21) James DeMeo führt dazu die Arbeit von Primatologen an, die an zwei Pavianpopulationen die Beobachtung machten, daß diese auf Umwelteinflüsse genauso reagieren, wie er es in seiner Saharasia-Theorie für den Menschen annimmt. Verglichen mit Pavianen in feuchteren Gebieten war bei Pavianen in Dürregebieten eine Abnahme der Wechselwirkung zwischen Weibchen und Männchen zu beobachten, es gab eine höhere Dominanz der Männchen und die Jungen spielten weniger miteinander. Entsprechend müsse, so DeMeo, "Reichs Diskussion des Panzerungsprozesses, zumindest bis zu einem gewissen Punkt, auf einige nichtmenschliche Mitglieder des Tierreiches ausgeweitet werden, die wiederholt unter Phasen von Dürre und Hungersnot gelitten haben." Affen und Menschen würden mit den gleichen Verhaltensstörungen reagieren, die sie an ihre Nachkommen weitergeben. Das könnte vielleicht viele der widersprüchlichen Beobachtungen über das Verhalten von Affen in freier Wildbahn erklären (7:83).

Unabhängig von der ORANUR-Forschung, in der er entdeckte, daß "das Reich des Teufels" (36) nicht nur Produkt der Menschenwelt ist, entwickelte Reich die Theorie, daß in der natürlichen Entwicklung des Bewußtseins selbst ein Bruch mit der "Natürlichkeit" angelegt sein könnte. Man denke nur daran, daß das Bewußtsein, wie bereits angeschnitten, inhärent selbstbezüglich ist, d.h. sich ähnlich gegen sich selbst richtet, wie sich in der Panzerung der "abwehrende Trieb" gegen den "abgewehrten Trieb" richtet (vgl. 31, 38). Der Mensch wäre das erste Tier gewesen, daß sich seiner orgastischen Plasmazuckung bewußt geworden sei und sich deshalb gepanzert hätte: er wäre sozusagen angesichts der Tiefe des kosmischen Orgonenergie-Ozeans gestrauchelt (42:123-148).

In diesem Zusammenhang ist die Geschichte des Makaken-Männchens Joey und dem Weibchen Honey von Interesse. Während sich die Gruppe mit dem Boß und seinem Vize, die allen anderen Männchen jede sexuelle Betätigung verwehren, im Innenkäfig aufhalten, schleichen sich Joey und Honey ins Außengehege, um verbotenen Sex zu haben. Als Joey dazu ansetzt, beim Orgasmus die makaken-typischen Lustschreie auszustoßen, dreht Honey den Kopf und wirft ihm einen drohenden Blick zu. Joey reißt sich zusammen, um die anderen nicht zu alarmieren. Ein paar Tage später hält Honey ihrem Galan sogar bereits vor dem Orgasmus kurz die Hand vor den Mund. Dazu der Kommentar des Verhaltensforschers: "Joey der Makake war in der Lage, seine Lustschreie bewußt zu kontrollieren - und immerhin handelt es sich um eine Art von Lautäußerungen, welche unter die Kontrolle des Bewußtseins zu stellen auch uns nicht gerade leichtfällt. Joey wußte selbst in dieser affektbetonten Situation, was er tat; oder um genau zu sein: Er wußte, was er normalerweise tun würde und was er jetzt zu unterlassen hatte" (1:198).

Man stelle sich die gleiche Situation bei Orang-Utans, Gorillas, Schimpansen oder Bonobos vor; also bei Tieren, die sich im Spiegel selbst wiedererkennen, während alle anderen vergleichbaren Tierarten inklusive den Makaken im Spiegelbild, wenn überhaupt, nur den Artgenossen sehen.(22) Darüber hinaus verwenden die großen Menschenaffen in der Symbolsprache, die man ihnen beibringt, das Symbol für "Ich" adäquat. Lautsprache, Werkzeuggebrauch und kulturelle Traditionen liegen ebenfalls rudimentär vor. Es muß also Ansätze für ein Ich-Bewußtsein vorhanden sein. Ist dafür auch die Grundlage einer Panzerung gegeben?

Aber selbst wenn man die beiden erläuterten Panzerungsmechanismen auf das Tierreich oder zumindest auf Primaten ausweitet, um "sich widersprechende Beobachtungen" zu erklären, d.h. Beobachtungen, die nicht zu Reichs, wenn man so sagen kann, "Naturphilosophie" passen wollen, bleibt doch ein Rest. Ein Rest, den man nicht mit sekundären Trieben erklären kann, die auf lebenswidrige Umwelteinflüsse zurückgehen oder mit der Entwicklung des Ich-Bewußtseins verknüpft sind, sondern der in tieferen, primären Funktionen verankert ist.

1943 notierte sich Reich in sein Tagebuch, daß er sich keine größere Katastrophe vorstellen könne, als jene, die eintreten würde, wenn sich herausstellte, daß er sich in bezug auf die Sekundären Triebe geirrt habe und sie tatsächlich zur primären Ausstattung gehören. "Denn in diesem Fall könnte die Emotionelle Pest sich auf ein Naturgesetz berufen, während ihre Erzfeinde, Wahrheit und soziales Verhalten, sich auf unbegründete Ethik stützen würden. (...) Unter diesen Umständen würden Egoismus, Diebstahl, kleinliche Selbstsucht, üble Nachrede, etc. die natürliche Regel sein" (43:189).

Die Primatologen haben diese Katastrophe über uns gebracht. Zwar haben sie nicht gerade herausgefunden, daß unsere nächsten tierischen Verwandten teuflische Biester sind, aber daß "Lüge, Egoismus, Diebstahl, kleinliche Selbstsucht, üble Nachrede, etc." durchaus (neben den "ethischsten" Eigenschaften, die man sich überhaupt vorstellen kann) zum natürlichen Repertoire gehören (10). Reich ahnte nicht, daß "Lüge, Verstellung, Manipulation und Betrug" Themen der Primatenforschung werden würden; daß innerhalb von Schimpansenhorden Politik eine große Rolle spielt und daß es zwischen ihnen unglaublich brutale Kriege gibt, bei denen schon ganze Gruppen von ihren Gegnern ausgerottet wurden.(23)

Auch hat die "Emotionelle Pest" genau das getan, was Reich befürchtete: sich diese Forschungsergebnisse angeeignet, um gegen das Leben und die Genitalität Front machen zu können, wie sich jeder anhand der soziobiologisch inspirierten Literatur überzeugen kann. Man nehme etwa Titel wie Bruder Affe (51). Der Klappentext faßt die Untersuchung wie folgt zusammen: "Menschenaffen sind ähnlich gewalttätig wie Menschen. So läßt sich die Kriegsführung der Menschen direkt mit den brutalen Überfällen von Schimpansen auf ihresgleichen vergleichen. Man kann am Verhalten der Menschenaffen genau beobachten, wie der Trieb zum Bösen - zu Destruktion, Folter und Auslöschung - geartet ist, und somit herleiten, wie tief er in uns Menschen biologisch verankert ist und auch wie spezifisch männlich er ist. Doch die Autoren geben sich am Ende hoffnungsvoll: Wenn wir die Quelle der Gewalt erkennen, können wir sie auch beherrschen. Der Mensch ist in der Lage, seinen Verstand anzuwenden und soziale Institutionen zu schaffen, die helfen, seine niederen Instinkte zu beherrschen und vernünftig zu kanalisieren." Bezeichnend ist auch eine auf dem Buchumschlag zitierte Pressestimme: "Das ist eines der wichtigsten Bücher des Jahrzehnts. Lesen Sie es, lernen Sie daraus, und bekämpfen Sie die Triebe, die Sie und andere erniedrigen." - Hier wird zu nichts anderem aufgerufen, als sich (und insbesondere seine Kinder) gegen das "böse Tier im Menschen" abzupanzern!(24)

Nur die hier erläuterte Theorie der biologischen Entwicklung kann aus dem von Reich befürchteten Dilemma herausführen. Aus ihrer Sicht ist die psychosexuelle Entwicklung nichts anderes als die langsame Konstituierung und Konsolidierung der Orgasmusfunktion. Was sich da konkret herauskristallisiert, hat Reich in seinem Buch Die kosmische Überlagerung beschrieben. Nach dem Prinzip der Adaption müßte das Tierreich aus allen "möglichen und unmöglichen" Formen bestehen, statt dessen ist es, wie Reich festgestellt hat, morphologisch von einer geradezu langweiligen Gleichförmigkeit (vgl. Hans Hass und der energetische Funktionalismus). Neben der natürlichen Selektion, die an den Genen ansetzt und, wie wir gesehen haben, z.B. dafür verantwortlich ist, daß der Sexualakt bei Tieren so wenig bioenergetischen Gesetzmäßigkeiten folgt, gibt es in der Natur einen zweiten Funktionsbereich, der erklärlich macht, warum sich nach wenigen Abstraktionsschritten bei Organismen immer die selben Formmuster herauskristallisieren: das Orgonom, Spiralformen, die Fibonacci-Reihe und der Goldene Schnitt. Insbesondere der menschliche Körper ist in jeder denkbaren Relation vom Goldenen Schnitt geprägt. Es ist das objektive Maß von Schönheit. In diesem Zusammenhang ist man an Reichs Gegenüberstellung von individueller Differenzierung als Ausdruck der Panzerung auf der einen und der "Einförmigkeit" der Genitalität auf der anderen Seite erinnert (22:131).

"Genitalität" ist ein Teilbereich der "kosmischen" Formgesetze, die sich immer wieder bemerkbar machen und letztendlich durchsetzen. Der Druck der "natürlichen Selektion" mag alle möglichen Scheußlichkeiten von tierischem Verhalten hervorgebracht haben, letztendlich gilt aber doch, daß "der bioenergetische Kern des Lebens und dessen kosmischer Bedeutung die Orgasmusfunktion (ist), d.h. die unwillkürliche Konvulsion des gesamten lebenden Organismus bei der beiderseitigen bioenergetischen Entladung während der genitalen Umarmung von Mann und Frau" (34:69).

Im Laufe der biologischen Entwicklung bringt sich dieser "kosmische" Funktionsbereich langsam aber sicher immer mehr zu Gehör. Auf der Entwicklungsstufe, auf der wir als Affenart angelangt sind, sollte das genitale Funktionsniveau unsere gesamte Existenz bestimmen. Dazu gehört z.B. auch der Komplex Arbeitsdemokratie. Am Arbeitsplatz kann man zwei klar unterscheidbare Verhaltensmuster beobachten: auf der einen Seite die gleichen verwickelten Machtspiele, die man auch bei Schimpansen beobachtet, auf der anderen Seite bestimmt allein die fachliche Kompetenz. Das kann soweit gehen, daß sich nach außen hin alles um Diplomatie dreht und die (orgastisch extrem impotenten) Wichtigtuer eine lärmende Show abziehen, während im Stillen ganz unspektakulär die wirkliche Arbeit geleistet wird. Ähnlich scheint sich, wie wir andeutungsweise gesehen haben, bei Affen (und sicher auch bei anderen Tieren) das sexualökonomisch wirklich wichtige Geschehen im Verborgenen abzuspielen. Hier eröffnen sich ganz neue Perspektiven für die Verhaltensbiologie.

Die Entfaltung des kosmischen, primären Funktionsbereichs wird allein schon aus der Morphologie ersichtlich, wenn man den Stammbaum des Menschen verfolgt. Man vergleiche etwa die "grobschlächtige" Gestalt eines Schimpansen mit der grazilen Gestalt eines Bonobos und schließlich mit der "göttlichen" Gestalt des Menschen, wie sie alle großen Künstler widergeben wollten. Werden die Menschenaffen Gibbon, Orang-Utan, Gorilla, Schimpanse und Mensch den Proportionen gemäß nebeneinandergestellt (49:104), spricht das ästhetische Empfinden sofort für den Menschen und es fällt auf, daß sich das Genital des Menschen fast genau in der Mitte zwischen Scheitel und Fußsohle befindet.

Eine entsprechende proportionale Darstellung der Ontogenie des Menschen zwischen dem 1. Keimlingsmonat und dem 25. Lebensjahr zeigt eine ganz ähnliche Entwicklung: das Genital wandert von unten her langsam in Richtung Körpermitte, die es zu Anfang der Pubertät erreicht, wenn die Sexualität tatsächlich "im Mittelpunkt" zu stehen beginnt (46:679). Auch befindet sich beim Menschen der Körperschwerpunkt im Mittelpunkt des Beckens (bei ihm dreht sich buchstäblich alles um das Genital!), während er beim Schimpansen mitten im Bauchraum liegt (alles dreht sich ums Fressen) (49:89).

Daß das besagte ästhetische Empfinden nicht rein subjektiv ist ("Ein Gibbon würde schließlich zugunsten der Proportionen eines Gibbons empfinden!"), sondern tiefere Bedeutung hat, sieht man an der berühmten Darstellung von Vitruvs "Homo ad circulum et ad quadratum" durch Leonardo da Vinci: der Nabel ist der Mittelpunkt des Körpers, um den man einen Kreis schlagen kann, den die gespreizten Arme mit den Mittelfingerspitzen und die Beine mit den Zehnspitzen berühren. Steht die gleiche Figur da wie ein Gekreuzigter, bilden die waagerecht gestreckten Hände die Breite und der Abstand zwischen Fußsohlen und Scheitel die Höhe eines Quadrats, dessen Mittelpunkt das Genital ist.(25) Es braucht nicht betont zu werden, was der Homo quadratus im Zusammenhang mit der genitalorgastischen Theorie bedeutet oder etwa die Darstellung des "Gekreuzigten" im Lichte von Reichs Ausführungen in Christusmord (34).

 

 

Zusammenfassung

In Die kosmische Überlagerung beschreibt Reich, wie sich die freie kosmische Orgonenergie durch Überlagerung in einen "Membransack" verfängt, aus dem sie sich wieder befreien will. Der Lebensprozeß ist Ausdruck dieser Befreiungsversuche. Sie bestimmen sowohl die phylogenetische und ontogenetische Entwicklung der Tiere, als auch die psychosexuelle Entwicklung des Menschentiers. In der Genitalität findet die kosmische Sehnsucht schließlich ihre Erfüllung.

Wie bereits in Hans Hass und der energetische Funktionalismus diskutiert, sind damit zwei Funktionsbereiche gegeben, die zunächst einmal nichts mit "Panzerung" und "Sekundären Trieben" zu tun haben: "kosmische Gesetze", die das Lebendige bestimmen (vgl. 36:58), gegen "natürliche Auswahl", Sexualität gegen Fortpflanzung, Liebe gegen "Wille zur Macht", Arbeitsdemokratie gegen Politik.

 

 

Literatur

  1. Arzt, V., I. Birmelin: Haben Tiere ein Bewußtsein?, München 1995
  2. Baker, C.F.: "The Spinning Wave: II" Journal of Orgonomy, Nov. 1979
  3. Baker, E.F.: Der Mensch in der Falle, München 1980
  4. Balcombe, J.: Pleasurable Kingdom, New York 2006
  5. Bischof, M.: Biophotonen, Frankfurt 1995
  6. Degen, R.: Vom Höchsten der Gefühle, Frankfurt 2004
  7. DeMeo, J.: Saharasia, Greensprings, Oregon, 1998
  8. Dew, R.A.: "The Biopathic Diathesis (VIII): Headache" Journal of Orgonomy, Nov. 1974
  9. de Waal, F.: Wilde Diplomaten, München 1991
  10. de Waal, F.: Der gute Affe, München 1997
  11. de Waal, F.: Bonobos, Basel 1998
  12. Dornes, M.: Die frühe Kindheit, Frankfurt 1997
  13. Eliot, L.: Was geht da drinnen vor?, Berlin 2001
  14. Goldberg, M.: "Work Energy and the Character of Organizations: Part II" Journal of Orgonomy, Nov. 1989
  15. Higgins, M.B., C.M. Raphael (eds.): Reich Speaks of Freud, London 1975
  16. Hinde, R.A.: Das Verhalten der Tiere, Frankfurt 1973
  17. Judson, O.: Die raffinierten Sexpraktiken der Tiere, München, 2005
  18. Kämpfe, L.: Evolution und Stammesgeschichte der Organismen, Jena 1992
  19. Kämpfe, L., R. Kittel, J. Klapperstück: Leitfaden der Anatomie der Wirbeltiere, Jena 1993
  20. Konia, C.: "Cancer and Communism, Part I" Journal of Orgonomy, May 1986
  21. Koopman, B.G.: "Mysticism, OR, and DOR" Journal of Orgonomy, Nov. 1979
  22. Laska, B.A.: "Freuds 'Kommentar' zu Reich" Wilhelm Reich Blätter, 3/80
  23. Leuschner, L., H. Herrlich: Fortpflanzung bei Tieren, Stuttgart 2000
  24. Lightfoot-Klein, H.: "Pharaonic Circumcision of Females in the Sudan" Journal of Orgonomy, May 1984
  25. Lloyd, E.A. The Case of the Female Orgasm, Harvard University Press, Cambridge, Mass. 2005
  26. Miersch, M.: Das bizarre Sexualleben der Tiere, Frankfurt 1999
  27. Otto, S.P., S.L. Nuismer: "Species Interactions and the Evolution of Sex" Science 304:1018-1020, 2004
  28. Reich, W.: Besprechung von Kraus, Prof. Fr.: Allgemeine und spezielle Pathologie der Person, klinische Syzygiologie, besonderer Teil I: Tiefenperson" Internationale Zeitschrift für Psychoanalyse, Bd. 13, 1927
  29. Reich, W.: "Orgonotic Pulsation - The differentiation of the orgone energy from electromagnetism, presented in talks with an electrophysicist" International Journal of Sex-Economy and Orgone-Research, Vol. 3, Oct. 1944
  30. Reich, W.: "Orgonomic Functionalism, Part II. On the Historical Development of Orgonomic Functionalism (Cont.)" Orgone Energy Bulletin, Vol. 2, July 1950
  31. Reich, W.: Die Funktion des Orgasmus, Frankfurt 1972
  32. Reich, W.: Massenpsychologie des Faschismus, Frankfurt 1974
  33. Reich, W.: Der Krebs, Frankfurt 1976
  34. Reich, W.: Christusmord, Freiburg 1978
  35. Reich, W.: Genitalität, Köln 1982
  36. Reich, W.: Äther, Gott und Teufel, Frankfurt 1983
  37. Reich, W.: Die bio-elektrische Untersuchung von Sexualität und Angst, Frankfurt 1984
  38. Reich, W.: Charakteranalyse, Köln 1989
  39. Reich, W.: "Man's Roots In Nature" Orgonomic Functionalism, Vol. 2, Fall 1990
  40. Reich, W.: Der Einbruch der sexuellen Zwangsmoral, Köln 1995
  41. Reich, W.: "Processes of Integration in the Newborn and the Schizophrenic" Orgonomic Functionalism, Vol. 6, Summer 1996
  42. Reich, W.: Die kosmische Überlagerung, Frankfurt 1997
  43. Reich, W.: American Odyssey, New York 1999
  44. Rose, S.: Darwins gefährliche Erben, München 2000
  45. Russelman, G.: "Der Energiebegriff in der Bioenergetik Alexander Lowens" Integrative Therapie 1/88
  46. Sommer, K.: Der Mensch, Berlin 1994
  47. Sommer, V.: Die großen Menschenaffen, München 1998
  48. Sommer, V.: Von Menschen und anderen Tieren, Leipzig 2000
  49. Steitz, E.: Die Evolution des Menschen, Stuttgart 1993
  50. Sulloway, F.J.: Freud: Biologe der Seele, Köln 1982
  51. Wrangham, R., D. Paterson: Bruder Affe, München 2000
  52. Zimniok, K.: Verliebte Tierwelt, Hannover 1986

 

 


Fußnoten

(1) In seinem 1944 veröffentlichten Aufsatz "Orgonotic Pulsation" diskutiert Reich Galvanis "zuckende Froschschenkel" und versucht die Vorgänge mit "orgonotischer Erregung" zu erklären (29:133f).

(2) Die verwirrenden, um nicht zu sagen wirren, Feinheiten der Freudschen Theoriebildung im Zusammenhang mit "narzißtischer Libido", "Objektlibido", "psychischer Energie", etc. sollen uns hier nicht interessieren.

(3) Siehe dazu auch Reichs Hinweis 36:110.

(4) Dem Orgonomen Robert A. Dew zufolge ist das "Treten" der Föten ein Beispiel für die "embryonalen Konvulsionen" (8:35).

(5) Auf die Rolle der Orgasmusfunktion in der Evolution werden wir später zurückkommen: kosmische Funktionen, namentlich die Orgasmusfunktion, brechen in die Welt mechanischer, in diesem Fall genetischer, Funktionen ein und formen sie um.

(6) "Die Orgontherapie Schizophrener läßt keinen Zweifel daran, daß die zentralen Mechanismen der späteren Schizophrenie in den ersten Lebenswochen angelegt werden" (33:383).

(7) Für Reich ist der "orale Orgasmus" des Babys nur eine Fortführung der bereits erwähnten orgastischen Entwicklungszuckungen: "Das Embryo macht die orgastischen Zuckungen des Uterus während des Geschlechtsaktes der Eltern mit. (…) Vor der Geburt gibt es Entwicklungszuckungen, die man von orgastischen Zuckungen bioenergetisch nicht unterscheiden kann. (…) Nach der Geburt gibt es einen selbständigen Kopf-Hals-Orgasmus beim Neugeborenen" (33:397).

(8) Leider ist an dieser Stelle eine längere Fußnote unvermeidlich. Wer im Internet den Fehler begeht, unter dem Stichwort "analer Orgasmus" zu suchen, wird in entsprechenden Foren Erlebnisberichte wie die folgende einer Christine finden, die im Detail beschreibt, wie sie und ihr Freund regelmäßig "Analverkehr" haben und fortfährt: "Ich bin übrigens vor 3 Tagen zum ersten Mal nur mit Analverkehr, also ohne Stimulation der Scheide oder des Kitzlers, zum Orgasmus gekommen. Keine Ahnung wie das geht, ich denke mein After ist sehr empfänglich für Stimulation. Ein analer O. ist der Hammer, zumindest bei mir. Es ist viel intensiver als der 'normale', und wenn ich beim normalen GV mal ne zweite Runde gebrauchen kann, war ich nach dem Analorgasmus restlos befriedigt." Solche Stimmen häufen sich! Was dort von den Frauen beschrieben wird, hat auf den ersten Blick mit dem von Baker beschriebenen "analen Orgasmus" wenig zu tun, sondern scheint eher eine Funktion der "unverarbeiteten Sexualspannung" zu sein, die den hysterischen Charakter überflutet, und Mund und After an die Stelle des Genitals treten lassen, das selbst mit Angst besetzt ist (38:258). Möglicherweise spielen bei "Christine" aber auch andere Faktoren eine Rolle, insbesondere die indirekte Reizung der hinteren Scheidewände unter Umgehung der "phallischen" Klitoris und des vorderen Teils der Scheide. In dieser Hinsicht ähnelt "Christines" Beschreibung der von Frauen in Afrika, die von intensiven "Orgasmen" berichten, obwohl ihnen in der Kindheit die Klitoris entfernt worden war, um sie für immer orgasmusunfähig und damit gefügig zu machen (24). Die "Orgasmen", von denen die körperlich und emotional verstümmelten Frauen berichten, haben ihre Entsprechung in psychoanalytischen Theorien, wie die bereits diskutierten Überlegungen Roheims zur Klitorisexzision. Reich vertrat während seiner psychoanalytischen Periode ähnliches: "erst die Verschiebung analer und oraler Libido auf die Vagina (ermöglicht) die unerläßliche 'Verschiebung' der Klitoriserotik, als Schlußstein im Aufbau des vaginalen Primats (…). Bei diesen Verschiebungen handelt es sich nur um Umstellungen psychisch-libidinösen Interesses, nicht etwa um physiologische Vorgänge. Die Scheide hat ihre eigene physiologische Erogenität, die nur nicht in Erscheinung treten kann, solange ihr die Klitoris mit ihrer starken psychischen Besetzung und physiologischen Erogenität vorgelagert ist. Hat aber oral-rezeptives und anal-passives libidinöses Interesse den Vaginaltrakt besetzt (…), so büßt auch die Klitoris mehr oder weniger an psychischem Interesse ein" (35:179). Später werden wir zum Rätsel der weiblichen Genitalität zurückkehren.

(9) Die Reichsche Auffassung widerspricht in jeder Hinsicht dem gegenwärtigen "Forschungsstand". So behauptet 2004 der "Wissenschaftsautor" Rolf Degen in seinem "Kompendium der Orgasmus-Forschung" Vom Höchsten der Gefühle (Wie der Mensch zum Orgasmus kommt), daß der Orgasmus der Frau vollkommen überflüssig sei. "Frauen können befruchtet werden, ohne Lust zu empfinden oder überhaupt bei Bewußtsein zu sein. Der weibliche Orgasmus erfüllt keinen Zweck, er ist von der Natur nicht gewollt" (6). Im ein Jahr später erschienenen Buch The Case of the Female Orgasm (Bias in the Science of Evolution) stellt die Biologin Elisabeth A. Lloyd die 20 führenden Theorien über Ursprung und Zweck des weiblichen Orgasmus infrage und führt ihn schlichtweg auf einen biologischen Zufall zurück: genauso wie Männer aufgrund der bisexuellen Anlage der Embryonen ohne jeden Sinn Brustwarzen entwickeln, würden Frauen wegen Nervenbahnen, die sich parallel zu der der Männer entwickelten, einen funktionslosen Orgasmus haben. Zu den besagten alten (durchweg Darwinistischen) Theorien, die Lloyd diskutiert, gehört auch die der Anthropologin Sarah Blaffer Hardy: Frauen hätten zunehmend Probleme mit dem Orgasmus, da dieser eine Anpassung unserer prä-humanen Vorfahren gewesen wäre, die mittlerweile sinnlos geworden sei und deshalb im Laufe der Zeit ganz verschwinden werde. "Unsere Nachfahren auf den Sternenschiffen werden sich wohl fragen, was die ganze Aufregung eigentlich sollte" (25).

(10) Reich sieht die Orgontherapie wie folgt in die biologischen Entwicklungsprozesse eingebettet: "Die Sprache der Motorik, die Organsprache und die emotionelle Ausdruckssprache, deren sich die Orgontherapie bedient, ist phylogenetisch und ontogenetisch älter als die Sprache des Wortes und der Vorstellung, die das Instrument der Tiefenpsychologie bildet. Die Sprache der Motorik und des Körperausdrucks beginnt nicht mit einem bestimmten Lebensjahr und sie ist nicht auf das Menschentier beschränkt, wie die Wort- und Gedankensprache. Die Körperausdruckssprache ist eine Funktion der tierischen Welt ganz allgemein, auch wenn wir sie noch nicht begreifen gelernt haben. Das Lebendige wird auf diese Weise der Orgonbiophysik vor dem ersten Lebensjahr beim Menschen und beim Tier ganz allgemein zugänglich, denn Emotion und Bewegungsausdruck sind an die Plasmapulsation gebunden" (33:383).

(11) "Es ist", so Reich, "wichtig festzuhalten, daß die Konstitution eines Organismus sich heranbildet und nicht 'fertig vorliegt'; ferner, daß die Entwicklung der biophysikalischen Konstitution über die Geburt hinaus vermutlich bis zum Ende des ersten Lebensjahres dauert" (33:382).

(12) "Ich nehme wahr, daß ich wahrnehme" - vgl. 38:57.

(13) Vögel haben ebenfalls keinen Penis, wenn man von wenigen Ausnahmen, etwa Strauße und Enten, absieht. Beim sogenannten "Kloakenkuß" kann das Vogelweibchen selbst bestimmen, wessen Sperma zur Eizelle vordringt, da das Sperma nicht vom Männchen in die Nähe der Eizelle gespritzt, sondern vom Weibchen aktiv eingesaugt wird. Männchen der afrikanischen Büffelweber haben einen ansonsten funktionslosen "Pseudopenis" entwickelt, mit dessen Hilfe die Kloake des Weibchens so stimuliert wird, daß es das Sperma akzeptiert (17).

(14) Im Gegensatz zu den meisten Säugetieren und fast allen anderen Primaten fehlt dem menschlichen Männchen ein "Penisknochen", der für eine sofortige Erektion sorgt.

(15) Noch heute ist nicht bekannt, was Zellteilung eigentlich auslöst, sicher ist man nur, daß die Zelle, wenn sie eine bestimmte Masse erreicht hat, danach strebt, sich zu teilen.

(16) Klonschaf "Dolly" wurde erzeugt, indem eine Eizelle mittels elektrischer Stimulation zur Teilung gebracht wurde.

(17) Es wurde bereits oben diskutiert, daß das Orale und das Genitale die beiden einzigen natürlichen Libidostufen sind.

(18) Da heißt es dann schon mal: "Mit seinem Tanz verkündet das Paradiesvogelmännchen allen Weibchen im Wald: Meine Gene sind phantastisch und Deine Kinder werden es auch sein."

(19) Im Gegensatz zu den meisten anderen Tieren ist beim Menschen der "Sex" keine öffentliche Angelegenheit und spielt sich im Dunkel der Nacht ab. Das hat nichts mit kulturellen Einflüssen zu tun (die zerstören höchstens diesen Drang zur Heimlichkeit), sondern gehört zu unserer biologischen Ausstattung.

(20) Es wird darauf verwiesen, daß gerade die Sexualität der Zwitter (fast durchweg niedere, "anale" Tiere) extrem gewalttätig ist, da jeder der Partner bestrebt ist, den männlichen Part zu übernehmen, d.h. weniger in die Fortpflanzung zu investieren als sein gegenüber. Dieses Argument unterstreicht aber nur, daß es "Genitalität", d.h. die Befreiung der Orgasmusfunktion vom Diktat der Fortpflanzung, nur in der Zweigeschlechtlichkeit geben kann.

(21) In den letzten Jahrzehnten (d.h. zu der Zeit, als sich die Verhaltensforschung entfaltete) kommt hinzu, daß es kaum noch Tiere gibt, die unter wirklich natürlichen Bedingungen leben. Praktisch alle Habitate sind extrem eingeschränkt und vom Menschen verändert, so daß der Begriff "freilebendes Tier" zunehmend problematisch wird.

(22) Merkwürdigerweise bilden Orca-Wale und Elefanten, sogar einzelne Elstern, hier eine Ausnahme, d.h. auch sie erkennen sich selbst in einem Spiegel. Immerhin zeigt sich bei Affen oder auch bei Vögeln, daß Tiere, die sich nicht im Spiegel als ein "Ich" wiedererkennen, sich doch so verhalten, als könnten sie sich in andere hineinversetzen, also ein Konzept von "ich" und "du" entwickeln. Beispielsweise stehlen sie von Artgenossen Nahrung, wenn diese nicht aufpassen oder sie verstecken selbst Nahrung und achten dabei darauf, daß andere sie nicht beobachten, locken sie auf eine falsche Fährte und tricksen auf andere Weise.

(23) Reich konnte noch anklagend seine Stimme wie folgt erheben: "Und im übrigen, so meint man, wären Kriege immer dagewesen und würden immer wieder kommen. Sie wären biologische Begebenheiten, denn nach Darwin gäbe es einen 'Kampf ums Dasein'. – Weshalb organisiert man dann Friedenskonferenzen. Ich habe übrigens nie gehört, daß sich die Bären und Elefanten in zwei Lager aufspalten und einander vernichten. Es gibt im Tierreich keine Kriege innerhalb derselben Art. Der Krieg unter seinesgleichen ist wie der Sadismus ein Erwerb des 'zivilisierten Menschen'" (32:283, Hervorhebungen von Reich).

(24) Die Frage nach unseren biologischen Anlagen, muß in die Irre führen, wenn nicht, wie Reich es getan hat, die Triebökonomie (Sexualökonomie) berücksichtigt wird. In den letzten Jahren haben Studien an Affen und Menschen gezeigt, daß eine liebevolle Mutter den Einfluß "böser" Gene wettmachen kann. Zwar stellte man fest, daß jene Kinder zu besonders aggressiven und antisozialen Individuen heranwachsen, die mit einer "kurzen" Version des Gens "MAOA", das für bestimmte Neurotransmitter zuständig ist, zur Welt kommen, jedoch wurden Träger des "zu kurzen" Gens, die am Anfang ihres Lebens ausreichend Liebe und Nestwärme erfahren hatten, zu ganz normalen Erwachsenen.

(25) Im 3. Kapitel von Orgonometrie beschäftigen wir uns eingehend mit der Bedeutung des menschlichen Körpers für das Maßsystem.


zuletzt geändert
15.12.06

 

 


zurück zur vorherigen Seite weiter zur nächsten Seite

 

 

Copyright © 1997 - 2013
Peter Nasselstein