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ORGONOMISCHER
FUNKTIONALISMUS

 

 

Reich hat seine Denkmethode anfangs als "energetischen Funktionalismus", später als "orgonomischen Funktionalismus" bezeichnet (siehe Äther, Gott und Teufel, Frankfurt 1983, S. 6). Daß Reich mit seinem "energetisch-funktionalistischen" Forschungsansatz nicht allein stand, sieht man an der "Energontheorie" von Hans Hass.

 

 

HANS HASS UND DER ENERGETISCHE FUNKTIONALISMUS

Peter Nasselstein

 

Einleitung

Die "Energontheorie" des bekannten Tauchpioniers und Unterwasserforschers, Zoologen, Humanethologen und Wirtschaftswissenschaftlers Prof.Dr. Hans Hass (Jahrgang 1919) wird im Lichte von Wilhelm Reichs Orgonomie dargestellt, wobei es aufzuzeigen gilt, wie sich diese beiden Theorien wechselseitig befruchten können. Dies fällt um so leichter, als sie die Kulminationspunkte der zwei Stränge der "energetischen" Tradition in der Wissenschaft darstellen.

Gleichzeitig ist Hass ein Vertreter des "Funktionalismus": er bemüht sich, so zu denken, wie die Natur arbeitet. Dazu versucht er frei von anerzogenen Denkschablonen die Menschenwelt von außerhalb zu betrachten, ganz so wie er einst, einem UFO gleich, über Korallenbänken schwebte und auf sie hinabblickte (4:187f). Um ihm auf dieser "Expedition zu uns selbst" folgen zu können, müssen wir unsere sämtlichen bisherigen Bewertungen über Bord werfen und uns selbst so betrachten, "als wären wir Besucher aus dem Weltenraum, denen die Vorgänge auf dem Planeten Erde unbekannt sind" (3:287). Dieser Blick, um mit Reich zu reden, von der "Wiese" aus auf die "Bühne des Menschen" (15) muß unwillkürlich zu einer Fundamentalkritik an der Gesellschaft im allgemeinen und an der Kindererziehung im besonderen führen.

Seitdem die Abstammung des Menschen aus primitiveren Lebensformen erwiesen sei, liege, so Hass, ein "natürliches und neutrales" Bezugssystem vor. So wie mit dem Stammbaum der Lebewesen, wo eines aus dem anderen organisch hervorgegangen ist, sollte es auch mit den Begriffssystemen bestellt sein. Man übersähe allzuleicht, daß die gängigen Begriffe nicht Spiegel der Wirklichkeit, sondern ein willkürliches Produkt des Menschen sind. Dieses naturfremde Denken werde über Erziehung und Tradition von einem Gehirn auf das nächste übertragen und mache uns glauben, daß diese Begriffseinheiten das "Wesen" dieser Welt kennzeichnen. Wir vergessen dabei, daß die Begriffe, diese "Schubladen", nur Werkzeuge unseres Geistes sind. "Zusätzliche Organe", bei denen die Gefahr gegeben ist, "daß aus Dienern Herren werden, indem sich diese Schubladen nicht mehr wirklich unseren Zwecken unterwerfen, sondern höchst selbstsüchtig unsere Gedanken in ihre Schablone pressen." Zwar könne man ohne Worte nicht denken, jedoch müsse man ihnen mit äußerstem Mißtrauen begegnen. Aber zum Glück sei "das junge, sich erst bildende Gehirn (...) in dieser Hinsicht noch frei und unbehindert. Es kann jeden dieser Diener erst prüfen, ehe es sich ihm anvertraut" (1:246f).

Über seine Erfahrungen, die er über ein Vierteljahrhundert hinweg bei der Präsentation seiner funktionalistischen Theorien machte, merkt Hass 1994 etwas an, was so auch vom Orgonomischen Funktionalismus gesagt werden könnte: es ist alles viel zu einfach und offensichtlich, zu funktionell, um ernstgenommen zu werden. Er habe sein in allen Bereichen der Lebensentfaltung gleichermaßen anwendbares und gültiges Grundschema zur Beurteilung von Selektionswerten und Konkurrenzfähigkeit, das im 2. Abschnitt dargestellt werden wird, "bei Vorlesungen, Vorträgen und Wirtschaftsseminaren immer wieder präsentiert. Ich kann mich nicht erinnern, daß je Widersprüche oder ernsthafte Einwendungen auftauchten. Eher hatte ich den Eindruck, daß dieser Bewertungsmaßstab, dessen Komponenten ja allgemein bekannt und anerkannt sind, als zu simpel angesehen wurde, um zu neuen Einsichten zu verhelfen. In der Unternehmensberatung sind, so will mir scheinen, oft besonders komplexe und verwirrende Schemata eher beliebt und gewinnen, wenn sie dicht an den Grenzen der Verständlichkeit liegen, noch an Bedeutung" (5:187).

 

 

1. Energetischer Funktionalismus

Funktionalismus und Energetik bildeten von Anfang an eine untrennbare Einheit. Das sieht man an der Ausformung der Thermodynamik Mitte des 19. Jahrhunderts. Sie sah von allen theoretischen Modellvorstellungen über den molekularen und atomaren Aufbau der Materie ab und beschäftigte sich stattdessen mit den beobachtbaren Beziehungen zwischen den verschiedenen Eigenschaften der Stoffe. Entsprechend formulierte sie abstrakte Gesetze, die die Umwandlung der Energie beschrieben, also das prinzipielle Funktionieren eines Vorgangs (vgl. Orgonenergie-Kontinuum und atomare Struktur). Die Thermodynamik hatte demnach einen ganz ähnlichen Ansatz wie später Reich mit seiner Forschungsmethode des Orgonomischen Funktionalismus, die sich ebenfalls auf das unmittelbar handgreifliche Funktionieren beschränkt und nicht, wie es sonst üblich ist, mit Modellen (Struktur), sondern mit Funktionsschemata arbeitet.

Die beiden grundlegenden Funktionsgesetze der Wärmelehre lauten: in einem abgeschlossenen System ist die Gesamtenergie konstant, d.h. Energie kann weder gewonnen noch vernichtet, sondern nur umgewandelt werden (Erstes Thermodynamisches Gesetz); und: in einem abgeschlossenen System sind spontane Vorgänge irreversibel, d.h. alle Potentiale heben sich gegenseitig auf (Zweites Thermodynamisches Gesetz). Demnach ist Energie zwar an sich unvernichtbar, aber bei jeder Umwandlung dieser Energie geht unweigerlich ein bestimmtes Quantum an nutzbarer Energie verloren. Das Universum ist vom "Wärmetod" bedroht, dem Ausgleich aller Potentialunterschiede.

Aus der Wärmelehre entwickelte sich Ende des 19. Jahrhunderts die umfassende naturphilosophische Denkweise der "Energetik". Ihr Hauptvertreter war der Begründer der physikalischen Chemie, Wilhelm Ostwald (1853-1932), der aus dem Zweiten Thermodynamischen Gesetz, für ihn das "Fundamentalphänomen" allen Geschehens, den "energetischen Imperativ" ableitete: "Vergeude keine Energie, verwerte und veredle sie!" Der Mensch müsse immer mehr Rohenergie vereinnahmen und mit zunehmender Effizienz in leistungserbringende Nutzenergie umwandeln. Die menschlichen Werkzeuge betrachtete Ostwald als "Transformationsmittel", mit deren Hilfe der Mensch sein "energetisches Gebiet" auf die anorganische Umwelt ausdehnt. Durch diese immer größere Energienutzung wachse das Glück, das Ostwald als "stärkste, freiwillige Energiebetätigung" definierte. Widerstand, die diese Freiheit lähme, müsse ausgeschaltet werden (10).

Die energetische Weltsicht ermöglichte eine beträchtliche Vereinfachung des Denkens, da sich mit Blick auf die Energie und ihre Umwandlung sämtliche Strukturen der Lebenswelt in ein und dasselbe Begriffssystem einordnen ließen. So konnten sich Biologen, Wirtschafts- und Staatswissenschaftler austauschen und dabei Erkenntnisse in einem Gebiet zur Erklärung von Phänomenen in einem ganz anderen heranziehen.

In einer energetischen Betrachtung von biologischen und ökonomischen Gebilden steht einzig ihr Funktionieren, ihr Energiehaushalt, bzw. ihre Funktion im Energiehaushalt, im Mittelpunkt. Auf den ersten Blick haben z.B. eine Pflanze und ein Wirtschaftsunternehmen wirklich nichts gemein; betrachtet man sie jedoch abstrakt vom Standpunkt ihrer Energiebilanz her, also nicht als materielle Gefüge, sondern als "Leistungsgefüge", unterscheiden sie sich imgrunde kaum.

Um diesem Denken folgen zu können, muß entgegen der üblichen biologischen Betrachtungsweise beachtet werden, daß sich bestimmte Teile an und Vorgänge in einer Pflanze und einer Fabrik entsprechen, nicht weil sie homolog (entwicklungsgeschichtlich verwandt) oder analog (strukturell ähnlich) sind, sondern, wie Hass sich ausdrückt, weil sie "funktionsverwandt" sind. Die Teile und Prozesse entsprechen einander, wenn sie dem gleichen Funktionskomplex dienen, etwa der Abwehr von Räubern, wie z.B. die Stacheln einer Rose und der Werkschutz von BAYER (3:368).

Man sieht, wie nahe sich Ostwald und Hass auf der einen und Reich auf der anderen Seite stehen: sie sind Vertreter des "energetischen Funktionalismus". Der einzige gravierende Unterschied ist Reichs Entdeckung der Orgonenergie. Aber immerhin war auch für Ostwald Energie kein bloßes mathematisches Abstraktum, sondern unmittelbare Wirklichkeit (10). Und Hass schreibt: "Was wir Materie nennen, besteht ganz und gar aus dem gleichen geheimnisvollen Etwas, das auch den subtilsten Prozessen, auch unseren Denk- und Gefühlsvorgängen zugrunde liegt" (2, 2. Teil:244). (Leider ist Hass, wie wir im 9. Abschnitt dieses Aufsatzes sehen werden, diesem Aspekt nicht weiter nachgegangen.)

Im Rahmen seiner Energontheorie beschreibt Hass, wie sich dieses "geheimnisvolle Etwas" im Lebendigen auf diesem Planeten entfaltet. Ständig steigert das Phänomen "Leben" sein räumliches Volumen und seine Potenz, Arbeit zu leisten. Es ist ein sich ausbreitender Prozeß der Energieballung. Eine Tatsache, die der Grundannahme vom "Wärmetod", von der die Energetik ausgegangen war, natürlich widerspricht. Hier würden wir, so Hass, wie beim Ersten und Zweiten Thermodynamischen Gesetz vor einer nicht weiter rückführbaren Grundeigenschaft der Energie stehen, die die Evolution des Lebens erklärbar macht: unter bestimmten Bedingungen kann sich Energie zusammenballen, differenzieren und immer mächtigere Potentiale bilden. Hass geht dabei so weit, die Formulierung eines entsprechenden weiteren thermodynamischen Grundgesetzes vorzuschlagen: "Der Physiker - für den die Organismen außerhalb seiner 'Kompetenz' liegen - mag kaum geneigt sein, ein solches Grundgesetz den beiden ersten anzufügen. Von der Energontheorie her finde ich dagegen diesen Vorschlag berechtigt" (2, 2. Teil:257). Die Entsprechung zu Reichs Orgonenergie, die entgegen dem Zweiten Thermodynamischen Gesetz funktioniert, "negentropisch" ist, d.h. spontan Potentiale aufbaut ("Orgonomisches Potential"), ist offensichtlich. (Leider ist Hass auch diesem Aspekt nicht weiter nachgegangen!)

In diesem Zusammenhang ist bezeichnend, wie die Wissenschaftsgemeinde Anfang der 1970er Jahre, als Hass seine Thesen zur Diskussion stellte, auf die Energontheorie reagierte: "Einen besonderen Angriffspunkt fanden einige Kritiker in der Grundaussage, daß das Leben ein energetischer Prozeß sei. Wenn dem so wäre - so die Kritiker - hätte man es mit einer wundersamen Energievermehrung zu tun, mit einem 'biologischen Perpetuum mobile' - was es einfach nicht gäbe. Eine andere Erklärung, was 'Leben' letztendlich ist, wie es entsteht und welchen Gesetzen es unterliegt, konnten die Kritiker aber nicht anbieten. Was Energie letztlich darstellt ist ebenfalls unbekannt - heiligstes Rätsel in Goethes Sprache" (6). - Oder "mit anderen Worten": ohne Orgonenergie fehlt dem "energetischen Funktionalismus" das Fundament.

 

 

2. Funktionswandel und natürliche Auslese

Hass betrachtet Lebewesen nicht primär als materielle Gebilde, sondern als energetische Leistungsgefüge, die er entsprechend als "Energone" bezeichnet. Es sind die Grundbausteine der Lebensentfaltung. Jedes Energon stellt ein energie-akkumulierendes Potential dar. Es besitzt die Fähigkeit, aus der Umwelt mehr freie, arbeitsfähige Energie zu gewinnen, als es selbst verbraucht. Es setzt sich aus dem "nackten" Zellkörper und einem "Leistungskörper" zusammen. Diese "Körper" können identisch sein, wie etwa bei dem Vielzeller Stechmücke; der Leistungskörper kann zum Teil aber auch aus Einheiten bestehen, die nicht zum Zellgefüge gehören, z.B. das Fangnetz einer Spinne.

Dieses Netz ist nicht nur das Werk der Spinne, vielmehr ist es aus Sicht ihrer Energiebilanz ein unverzichtbares Organ, genauso wie etwa die Fangbeine, mit der die Spinne ihre Beute umklammert. Und betrachtet man die Sache aus Sicht der Evolution, greift die natürliche Auslese ebenfalls nicht nur am Zellkörper, sondern am gesamten Leistungskörper (Zellkörper und Netz) an.

Die Spinne wäre ohne ihr "zusätzliches Organ" Netz genauso zum Tode verurteilt, wie die Stechmücke ohne ihr natürliches Organ Stachel. Es kommt primär auf die Funktion an, die aus einem Gegenstand ein Organ macht. Deshalb kann das zusätzliche Organ aus Einheiten bestehen, die nicht nur, wie das Spinnennetz, nicht mit dem Energon fest verbunden sind, sondern darüber hinaus nicht vom Zellkörper gebildet wurden. Hat man sich aber erst einmal diese funktionelle Sichtweise zu eigen gemacht, ist der Schritt von der Spinne mit ihrem Netz zu, als willkürliches Beispiel, "dem Handelsvertreter und seinem Auto" nur naheliegend. Beide, die Spinne und der Handelsvertreter, müssen, um Leben zu können, einen Energieüberschuß erwirtschaften, wozu sie ihren Zellkörper mit zusätzlichen Organen umgeben, mit deren Hilfe sie ihre Beute (bzw. ihre "Kunden") fangen. (Natürlich kann ein zusätzliches Organ auch anderen Zwecken dienen, etwa dem Schutz, wie wir im 6. Abschnitt sehen werden.)

Der einzig wirklich entscheidende Unterschied liegt darin, daß die Spinne immer nur das eine Netz bauen kann, während der Handelsvertreter aufgrund seiner geistigen Fähigkeiten in der Lage ist, die Leistungen seines Körpers durch Bildung beliebig gestalteter zusätzlicher Organe zu steigern. Hass bezeichnet ein solches wandelbares Wesen, das nicht mehr Marionette des Genoms ist, als "Hyperzeller". Alle Hyperzeller (etwa Handelsvertreter) sind aus dem Vielzeller Mensch hervorgegangen, der in ihrem Kern fortlebt. Sie sind der natürlichen Auslese genauso unterworfen wie die Vielzeller.(1)

Bei seiner Forschungstätigkeit, zunächst als Unterwasserforscher, der z.B. das Leben in Korallenriffen beobachtete, dann als Verhaltensforscher, der mit dem gleichen Blick die Menschenwelt in Augenschein nahm, fand Hass, daß sämtliche Energone vollkommen unabhängig von ihrer Struktur ausnahmslos sechs Grundleistungen erbringen müssen (5), wobei die ersten vier dem Individuum (d.h. dem jeweiligen Ein-, Viel- oder Hyperzeller) dienen:

  1. Energieerwerb, da ohne arbeitsfähige Energie überhaupt jeder Prozeß unmöglich wäre;
  2. Erwerb benötigter Stoffe für Aufbau, Wachstum und Fortpflanzung;
  3. Abwehr widriger Umwelteinwirkungen, worunter auch die Abwehr von Konkurrenten fällt, die die gleichen Energie- und Stoffquellen nutzen wollen; und
  4. Nutzung günstiger Umweltfaktoren, worunter auch die Nutzung der Leistungen anderer Energone zu zählen ist.

    Die ausstehenden zwei Grundleistungen stehen im Dienst anderer, überindividueller Instanzen:

  5. Fortpflanzung: sie dient nicht der Fortexistenz des einzelnen Energons (meistens gefährdet es sie eher!), sondern einzig und allein dem Überleben der Energonart.
  6. Strukturverbesserung: sie ist für die Anpassung und Höherentwicklung der Energone verantwortlich und sichert so die Entfaltung des Lebens.

Diese letzte Grundleistung nutzt weder dem Individuum, das nichts davon hat, wenn seine Nachkommen leistungsfähiger sind, noch der Art - wenn neue bessere Arten entstehen. Die Strukturverbesserung dient einzig und allein dem "Entfaltungsstrom".

Hass nannte diese Instanz zunächst "Lebensstrom", was aber die falschen, "lebenspositiven" Assoziationen weckt (7).(2) Das einzige Lebendige sind die Energone (bzw., wie wir im 6. Abschnitt sehen werden, deren "Keimzellen"), während der Entfaltungsstrom selbst ein blindes, rein mechanisches Geschehen ist, das sich wie ein Buschfeuer ausbreitet und dabei "egoistisch" von der Ausbeutung und Vernichtung des Lebendigen lebt.(3)

Bei den sechs Grundleistungen müssen alle Energone (wie auch jeweils jedes einzelne ihrer Bestandteile) drei Effizienzkriterien erfüllen, um im Überlebenskampf der Individuen und Arten innerhalb des Entfaltungsstroms bestehen zu können:

  1. muß jede lebensnotwendige Leistung mit möglichst geringer Energieausgabe "kostengünstig" erfolgen;
  2. muß man sich auf die Güte dieser Leistungen verlassen können, d.h. auf ein günstiges Verhältnis zwischen den Bemühungen zur Leistungserbringung und den Fehlschlägen (Hass spricht von der "Präzision", mit der das leistungserbringende Organ zu seiner Aufgabe paßt); und
  3. kann wichtig sein, wie viel Zeit die jeweilige Leistung in Anspruch nimmt.

Bei diesen drei Effizienzkriterien ist jeweils zwischen der Periode des (1.) Aufbaus und der Funktionsperiode der leistungserbringenden Organe zu unterscheiden und in letzterer wiederum zwischen den Phasen der (2.) Funktionsausübung, der (3.) Ruhe und der (4.) Funktionsumstellung.

Zusammen ergibt das zwölf Kriterien, mit deren Hilfe man den "Selektionswert" aller Energone und ihrer Strukturen erfassen kann. Es ist das unveränderbare Grundgerüst des energetischen Phänomens "Leben"; das Wertgerüst, in dem sich biologische Systeme genauso beschreiben lassen wie wirtschaftliche Prozesse - und umgekehrt.

Diesem Leistungsrahmen arbeiten, wie wir im 7. Abschnitt sehen werden, die autonomen Lebensfunktionen zu. Dabei passen sie sich, Hass zufolge, dem Druck der Leistungsanforderungen, die die Umwelt stellt, wie folgt an:

  1. Funktionserweiterung: Organe und Werkzeuge lassen sich für unterschiedliche Aufgaben nutzen;
  2. Funktionsteilung: damit sich die Funktionen nicht gegenseitig behindern, werden sie im Verlauf der "Arbeitsteilung" auf verschiedene Organe und Werkzeuge verteilt;
  3. Funktionswechsel: ein Organ oder Werkzeug, das ursprünglich für die eine Funktionserfüllung entwickelt wurde, übernimmt eine grundlegend andere;
  4. Funktionspartnerschaft: in der Symbiose werden überflüssige Kosten eingespart;
  5. Funktionszusammenlegung: die Zusammenlegung von gleichen Funktionen, was wegen der Zellstruktur bei Vielzellern fast unmöglich ist, aber zum Wesen der Hyperzeller gehört; und
  6. Funktionsbündelung: die Zusammenlegung von unterschiedlichen Funktionen in einem großen Organ (so sind z.B. die meisten Maschinen entstanden).

 

 

3. Die zwei Phasen der Evolution

In der ersten Phase der Evolution bauen "Keimzellen" zwei Arten von Energonen auf, deren grundlegend unterschiedlicher Bauplan durch ihren Energieerwerb bestimmt wird: die passiven Pflanzen, die als "Parasiten der Sonne" leben, und die durchweg räuberischen Tiere (siehe den 5. Abschnitt), die ihrerseits Parasiten der Pflanzen sind. Bei ihnen sind die Rezepte für den Aufbau und die Steuerung des Leistungskörpers noch im Genom konzentriert. Im Laufe der Entwicklung des Menschen verlagerten sich diese beiden Funktionen zunehmend auf das Gehirn.(4) Das machte, wie bereits erwähnt, den Vielzeller Mensch zu einem neuartigen Organismus mit zusätzlichen Organen, die er nach Belieben wechseln und anwenden konnte: er wurde zum Mittelpunkt von "Hyperzellern". Mit diesen Hyperzellern entstanden vollkommen neue "Tierarten": Handelsvertreter, Bäcker, Programmierer, Piloten, Dachdecker, etc.pp. So erweist sich das Wirtschaftsgeschehen als eine direkte Fortführung der Evolution.

Hass bezeichnet diese "Tierarten" als "Berufstätige". Bei diesen neuartigen "Tieren" handelt es sich um einen Menschen plus seine zusätzlichen Organe, inklusive seinem Fachwissen, das sich sozusagen aus "immateriellen" zusätzlichen Organen (also materiellen Schaltkreisen im Gehirn) zusammensetzt. Jeder Berufstätige, der auf dem Markt mit neuen speziellen Leistungen erfolgreich ist, z.B. indem er Schuhe produziert, begründet eine neue "Art", denn andere Menschen werden durch seinen Erfolg dazu motiviert, entsprechende "Berufskörper" aufzubauen, d.h. in diesem Fall Schuster zu werden. Die verschiedenen "Berufs-Arten" sind dabei ebenso der natürlichen (bzw. künstlichen) Auslese unterworfen, wie vorher die pflanzlichen und tierischen Energone.

Beide, sowohl die "natürlichen Arten" als auch die "Berufsarten", spezialisierten sich im Laufe der Entwicklung, erschlossen so neue "Biotope" und Lebensmöglichkeiten, wobei besser angepaßte Arten die schlechter angepaßten verdrängten oder sogar ganz zum Aussterben brachten. Der entscheidende Unterschied zwischen den beiden Phasen der Evolution besteht darin, daß in der Welt der Berufstätigen eine alte Funktion, nämlich die der Fortpflanzung, von vollkommen anderen Strukturen erfüllt wird. Wie bereits angedeutet pflanzen sich nun die Arten nicht mehr über das Genom fort, sondern über Sprache und Schrift, z.B. Anleitungen für die Schuhherstellung, wodurch alte strukturelle Beschränkungen (der langsame Gang von mechanischer Mutation, Selektion und geschlechtlicher Rekombination) überwunden sind und die artungleiche Fortpflanzung zum Regelfall wird, d.h. jeder einzelne Mensch kann Ursprung eines vollkommen anders gearteten Berufskörpers werden.

Neben der beliebigen Veränderbarkeit des Hyperzellers stellt seine relative Unverwüstlichkeit einen weiteren evolutionären Fortschritt dar: der "Tod" eines Hyperzellers, z.B. der Konkurs eines Schuhmachers, greift nur in Ausnahmefällen auf seine menschliche "Keimzelle" über. Den größten Fortschritt stellt jedoch das zusätzliche (Gemeinschafts-) Organ "Geld" dar. Auf ihm beruht in erster Linie der ungeheuerliche evolutionäre Erfolg der Hyperzeller. Denn durch seine Hilfe kann der Hyperzeller, und damit seine Keimzelle, mit einer einzigen Spezialleistung, z.B. der Herstellung von Schuhen, an die Produkte aller anderen Spezialleistungen herankommen und mit ihnen den eigenen Leistungskörper ergänzen. (Auf das Geld werden wir im 5. Abschnitt zurückkommen.)

Die vierte Art von Energon (nach Pflanze, Tier und Berufstätigem) ist der Hyperzeller höherer Integration. Ähnlich wie sich aus Einzellern arbeitsteilig organisierte Vielzeller entwickeln (bzw. entwickelt haben), kommt es auch bei den Hyperzellern zur Bildung von größeren, auf gemeinsame Aufgaben ausgerichtete Einheiten: den "Erwerbsorganisationen". "Und ähnlich, wie im vielzelligen Körper die Zellen größere, leistungsfähigere Organe aufbauen - zum Beispiel die aus vielen Zellen bestehenden Flossen, Augen und Knochen, so bestehen auch in den größeren, von Tausenden von Hyperzellern gebildeten Lebenskörpern 'Abteilungen', die auf bestimmte Aufgaben ausgerichtet sind, in Wirtschaftsunternehmen etwa die aus zahlreichen Hyperzellern gebildete Betriebsleitung samt ihren ausführenden Organen, die Produktionsabteilung, die Verkaufsabteilung und andere" (5:142).

Während also im Zentrum eines Berufskörpers stets ein einzelner Mensch steht, sind Erwerbsorganisationen überindividuell organisiert. Natürlich kann es einen "Chef" geben, aber der ist, wie jeder andere Mitarbeiter auch, prinzipiell ersetzbar. Im krassen Widerspruch zum selbständigen Berufstätigen wird der Mensch in der Erwerbsorganisation zur austauschbaren Einheit. Man vergleiche etwa einen Handwerksmeister mit einem Fließbandarbeiter.

Mit der Erwerbsorganisation hat sich die Evolution endlich von der Last des "föderativen Aufbaus" befreit. Zum Beispiel wurde vorher jede Zelle mit dem Unterhalt eines eigenen Kraftwerkes, den Mitochondrien, belastet, während nun nicht jeder einzelne Berufskörper, der Teil einer Erwerbsorganisation geworden ist, einen eigenen Elektrogenerator benötigt. Mit dem Auftreten der Erwerbsorganisationen ist jede erdenkliche Funktionszusammenfügung möglich geworden. Damit sind sie effizient, wie kein Energon zuvor.

Die Erwerbsorganisationen stellen den nicht weiter zu steigernden Höhepunkt der Evolution dar. Sie sind die größten Organismen überhaupt und könnten theoretisch die Ausmaße einer Galaxie annehmen. Trotz dieses quantitativ unbegrenzten Wachstums haben mit ihnen die Energone den nicht überschreitbaren qualitativen Höhepunkt ihrer Entwicklung erreicht, denn eine Vereinigung von Erwerbsorganisationen wäre doch nur eine weitere Erwerbsorganisation.

Uns, die wir in solchen Erwerbsorganisationen arbeiten, ist es praktisch unmöglich zu erfassen, daß es sich bei ihnen um Organismen handelt. Einem Einzeller, z.B. einem Weißen Blutkörperchen, müßte es, hätte es Bewußtsein, ebenfalls widersinnig erscheinen, den Menschen, in dem es steckt und dessen integraler Bestandteil es ist, als einen Organismus zu betrachten. Wir sind abhängig von unserem beschränkten perspektivischen Blick, den wir erst mit Hilfe des energetischen Funktionalismus (also mit Hass' Energontheorie oder mit Reichs Orgonometrie) umfassend erweitern können. Wie im 8. Abschnitt gezeigt werden wird, ist dieser neue funktionelle, "orgonometrische", im wahrsten Sinne des Wortes "kosmische" Blick "aus dem Weltenraum" (vgl. die Einleitung) die einzige Möglichkeit, wie wir zu uns selbst finden und uns damit von unseren Fesseln befreien können.

 

 

4. Die Naturgeschichte der Arbeitsdemokratie

Nach Reich bilden sowohl der Organismus als auch die gesellschaftliche "Arbeitsdemokratie" jeweils "ein natürliches Kooperativ gleichwertiger Organe verschiedener Funktion. Wenn die natürliche Arbeitsdemokratie biologisch begründet ist, so finden wir sie in der harmonischen Kooperation der Organe vorgebildet" (13:124). Mit Hilfe der Energontheorie läßt sich nun die offensichtliche naturgeschichtliche Lücke, die sich zwischen dem "organischen Kooperativ" und dem gesellschaftlichen Kooperativ auftut, im Sinne einer "Kontinuität der Funktion" schließen.

Hass betrachtet nämlich die Gesellschaft nicht länger als ein Kooperativ von Menschen (die der gleichen Art angehören), sondern von Hyperzellern. Genauso wie die Organe eines Organismus voneinander grundverschieden sind, differenzieren sich auch die Hyperzeller in verschiedene Arten. Entsprechend ist es von vornherein widersinnig, die "natürliche Arbeitsdemokratie" in Horden von Affen oder Urmenschen suchen zu wollen, vielmehr findet man sie beispielsweise in Korallenriffen vorgezeichnet, wo die unterschiedlichsten Arten zusammenleben.

Man denke nur an die Symbiose (oder wie die Energontheorie sich ausdrückt: an die "Funktionspartnerschaft") zwischen Einsiedlerkrebsen und Seeanemonen. Sie machen sich wechselseitig zu zusätzlichen Organen. Für den Einsiedlerkrebs ist die Seeanemone, die sich auf seinem Schneckengehäuse (einem weiteren zusätzlichen Organ des Einsiedlerkrebses) niederläßt, ein Schutzorgan, während der Einsiedlerkrebs für die Seeanemone ein Fortbewegungsorgan ist. Beide profitieren von dieser "arbeitsdemokratischen Beziehung".

Aus funktioneller Sicht liegt in der Wirtschaft genau das gleiche vor: Hyperzeller (nicht etwa Menschen!) machen sich wechselseitig zu zusätzlichen Organen. Demnach stehen z.B. der Gerber und der Schuhmacher in einem arbeitsdemokratischen Verhältnis. Um so mehr trifft dies zu, wenn die funktionelle Verflechtung zwischen den Kooperationspartnern enger wird und sich diese beiden Hyperzeller mit anderen zu einer gemeinsamen Erwerbsorganisation zusammenfinden (3:145). Mit anderen Worten: in der Arbeitsdemokratie werden die Hyperzeller zu einem Bestandteil des Leistungskörpers des jeweils anderen.

"Funktionspartnerschaft" ist also die Brücke, die das "natürliche Kooperativ Organismus" mit der gesellschaftlichen Arbeitsdemokratie funktionell verbindet. Beim Wurm Convoluta wird das auf eine plastische Weise deutlich. Dieser Wurm kann sich, im Gegensatz zu seinen unmittelbaren Verwandten, die Ausbildung eines eigenen Nierensystems sparen, weil bestimmte Algen, die in seinem Körper leben, für ihn die Stoffwechselschlacken beseitigen (2, 1. Teil:44). Hier übernimmt, im Rahmen einer Symbiose, ein fremder Organismus die Aufgabe eines überlebenswichtigen Organs (der Niere). Nicht viel anders sieht es in der Arbeitsdemokratie aus, wo sich Hyperzeller wechselseitig zu (zusätzlichen) Organen machen und auf diese Weise erst Leben können (Reich spricht von "lebenswichtiger Arbeit" [12]).

Kooperation von Energonen schafft neue Energone höherer Komplexität und Effizienz. Tatsächlich ist die Möglichkeit der Energone mit anderen Energonen zu kooperieren, also eine Arbeitsgemeinschaft zu bilden, in der jeder Teil zum Funktionsträger des anderen wird, die Grundlage für die gesamte Höherentwicklung der Energone (3:145). Das heißt nichts anderes, als daß die Arbeitsdemokratie das Grundwesen alles Lebendigen ausmacht.

Die eng verzahnte arbeitsdemokratische Integration beinhaltet aber gleichzeitig die Gefährdung eben dieser Arbeitsdemokratie. Das kann man sich am Übergang von den unabhängigen Einzellern zum festen Verband des Vielzellers vergegenwärtigen: einerseits konnte, ganz entsprechend dem Reichschen Konzept der Arbeitsdemokratie, der Einzeller den gesamten Organismus als sein Organ betrachten, doch andererseits wurde der Einzeller auch zu einem austauschbaren Rädchen (zu einem Sklaven) in einem zum Selbstzweck gewordenen Gesamtgefüge.

Beim Übergang von voneinander unabhängigen, "freiberuflichen" Berufskörpern zum festen Verband einer Erwerbsorganisation ergeben sich entsprechende Vor- und Nachteile, doch die letzteren fallen mehr ins Gewicht, da, wie im 3. Abschnitt angeschnitten, der Erfolg (d.h. die pure Existenz) der Erwerbsorganisation auf der Überwindung des "föderativen Aufbaus" beruht. So ist die Arbeitsdemokratie gerade auf dem Höhepunkt ihrer Naturgeschichte am stärksten gefährdet, weil der Mensch zu einem bloßen Werkzeug (zum "Organ", zum "bloßen Rädchen im Getriebe", zum "Lohnsklaven") in einem totalitären System wird.

Dies würde direkt zu einem anarchistischen Manifest führen, wenn sich nicht ein weiteres Problem auftun würde: die innerartliche Aggression - nicht etwa zwischen Menschen, sondern zwischen Hyperzellern! Es geht um den Konkurrenzkampf innerhalb einer Berufstätigen-Art. Zwei Schuster, die in unmittelbarer Nähe ihre Geschäfte haben, können als Menschen (d.h. als Vielzeller) zueinander stehen, wie immer sie wollen, als Vertreter der gleichen Berufsart (d.h. als Hyperzeller) sind sie Todfeinde, wenn der Markt (das "Biotop", z.B. der Stadtteil) nur eine Schusterei ernähren kann.(5) Wechseln wir von der Ebene der Arten zu der des Entfaltungsstroms über, gilt das gleiche für das Ersetzen alter Arten durch neue, besser angepaßte, etwa die Verdrängung des Gerbers durch den Hersteller von Kunstleder (ein Sujet, das bei Reich häufig auftaucht).

Um diese "natürliche Auslese" in einem erträglichen Rahmen zu halten, gibt es den Staat als unverzichtbares "Gemeinschaftsorgan" der Berufstätigen, das z.B. für lauteren Wettbewerb sorgt oder allein schon dafür, daß die Hyperzeller nicht (verständlicherweise) mit Waffengewalt um ihr schieres Überleben kämpfen. Außerdem ist der Staat, Hass zufolge, deshalb absolut notwendig, weil die zusätzlichen Organe der Hyperzeller nicht nur nicht fest mit ihrem Leistungskörper verbunden sind, sondern darüber hinaus auch noch für andere Hyperzeller besonders begehrenswert sind, da sie sie in ihren eigenen Leistungskörpern problemlos integrieren können. Der Staat, der Raub mit Sanktionen belegt, hat die Entwicklung der Hyperzeller also überhaupt erst möglich gemacht.

Alle Aufgaben, die der Staat über seine unverzichtbare Schutzfunktion hinaus noch an sich reißt, beinhalten die Gefahr, daß er selber zu einer Erwerbsorganisation wird, die die Freiheit der Berufstätigen einschränkt: er wird selbst zum Dieb. Das wird dann kurioserweise als "Sozialstaat" bezeichnet (vgl. Der politische Irrationalismus aus orgonomischer Sicht). Auch Militär und Polizei, die Freiheit und Sicherheit der Bürger (tatsächlich aber der Hyperzeller)(6) schützen sollen, stellen in dieser Beziehung eine Gefahr dar, denn im Notfall müssen sie auf blinden Gehorsam zurückgreifen können, was sich wiederum einzelne zunutze machen können, um den Staat durch Putsch zu einem zusätzlichen Organ ihres eigenen Leistungskörpers, bzw. des Leistungskörpers ihrer Gruppe zu machen. Hass: "Ein Verband mit einem großen Gemeinschaftsorgan des Schutzes wird über Nacht in ein Großunternehmen verwandelt, bei dem im Extremfall sämtliche 'Aktien' in einer Hand sind" (5:169).

Aus diesem vermeintlich unauflöslichen Dilemma kann, wie bereits im 3. Abschnitt angedeutet, nur das funktionelle Denken hinausführen, d.h. wir müssen uns ständig bewußt bleiben, daß der Staat und das Recht, d.h. "die Gewalt des Staates" (16:216), selber nichts weiter als zusätzliche Organe sind, die nichts "Heiliges" an sich haben, sondern jederzeit zur Disposition stehen, wenn sie ihre rationale Funktion nicht mehr erfüllen. Insbesondere ist hier an Max Stirner und seine Entzauberung dieser "heiligsten Güter" zu denken. Stirner: "Der Gedanke des Rechts ist ursprünglich mein Gedanke oder er hat seinen Ursprung in Mir. Ist er aber aus Mir entsprungen, ist das 'Wort' heraus, so ist es 'Fleisch geworden', eine fixe Idee. Ich komme nun von dem Gedanken nicht mehr los; wie Ich Mich drehe, er steht vor Mir. So sind die Menschen des Gedankens 'Recht', den sie selber erschufen, nicht wieder Meister geworden: die Kreatur geht mit ihnen durch. Das ist das absolute Recht, das von Mir absolvierte oder abgelöste. Wir können es, indem Wir's als absolutes verehren, nicht wieder aufzehren, und es benimmt Uns die Schöpferkraft; das Geschöpf ist mehr als der Schöpfer, ist 'an und für sich'" (16:225f).

 

 

5. Arbeitsdemokratie und Kapitalismus

Die Apologeten eines Kapitalismus, bei dem sich alles ohne Rücksicht auf Verluste um den Gewinn dreht, berufen sich gerne auf die erste Phase der Evolution. Alle Tiere sind im Verhalten gegenüber ihrer Energiequelle (Pflanzen oder Tiere) Räuber, die an alles andere nur nicht an den Vorteil ihrer Beute denken, sondern nach Schwachstellen Ausschau halten, um "rauben und morden" zu können. Gräser werden von Ziegen rücksichtslos ausgerupft, Blauwale von Killerwalen bei lebendigem Leib ausgeweidet, etc.pp.

Bei diesem Energieerwerb werden alle Tiere aus funktioneller Notwendigkeit von Trieben geleitet, die innerhalb der Gesellschaft, um mit Reich zu sprechen, als destruktive "sekundäre Triebe" gebrandmarkt würden:

  • Egoismus: beim Energieerwerb zählt einzig und allein der eigene Vorteil. Jede Rücksicht auf die Beute wäre kontraproduktiv.
  • Gier: der Energieerwerb muß so schnell wie möglich erfolgen, um jede, vielleicht nicht so schnell zurückkehrende, günstige Gelegenheit auszunutzen und nicht zuletzt, um den Konkurrenten zuvorzukommen.
  • Mißgunst: mißtrauisch und voller Neid ist man auf das Verhalten der Konkurrenten fixiert, um an ihrer Beute teilzuhaben, sie ihnen vielleicht sogar ganz abzujagen.

Diese tierischen Instinkte harmonierten hervorragend mit dem Leben der menschentierlichen Jäger und Sammler und auch der frühen Ackerbauern und Viehzüchter. Wie ein Dieb plünderte man die Früchte und Beeren des Waldes, stocherte Insekten aus ihren Verstecken, lockte Kleinwild in gemeine Fallen und organisierte grausame Treibjagden auf Großwild. Der Ackerbauer und Viehzüchter ist sogar noch brutaler: Wälder werden rücksichtslos gerodet und ganze Tierarten (etwa Wölfe) ausgerottet, während andere Pflanzen und Tiere auf die perfideste Art und Weise manipuliert und ausgebeutet werden.

Heißt dies, daß es in der zweiten Phase der Evolution, also in der "Flora und Fauna" der Berufsarten, genauso zugehen muß?

  • Egoismus: dem Kunden wird rücksichtslos "das Fell über die Ohren gezogen".
  • Habgier: zum Beispiel werden einem in guter Stimmung befindlichen Kunden Dinge angedreht, die er gar nicht wünscht und die ihm vielleicht sogar schaden.
  • Mißgunst: alle werfen sich auf jenes Marktsegment, das den größten und schnellsten Profit verspricht, während andernorts bei frustrierten Kunden riesige Bedarfslücken klaffen.

Aus dieser Aufstellung wird sofort offensichtlich, wie kontraproduktiv ein solches Vorgehen wäre, denn in einer arbeitsteiligen, auf den Austausch von Gütern und Dienstleistungen gegründeten Gesellschaft kann nur jener Berufstätige längerfristig Erfolg haben, der sein eigenes Problem (Zugewinn von Energie, Rohstoffen und Know How) löst, indem er sich fremder Probleme annimmt. Tut er das nicht, bleibt er rein auf seinen kurzfristigen Gewinn fixiert (d.h. agiert er, durchaus "natürlich", wie ein Raubtier), ohne auf die Bedürfnisse des Kunden zu achten, fliegt er aus dem Geschäft und "verhungert".

"Während es für den Räuber ohne Interesse und Relevanz ist, daß das Opfer 'seiner freundlich gedenkt', ist dies beim Erwerb über Tauschakte diametral verschieden. Hier beeinflußt ein Erwerbsakt den nächsten in entscheidender Weise" (4:94). Deshalb gibt es beim Tausch, radikal anders als beim Raub, nur Gewinner. (Übrigens im Widerspruch zum Zweiten Thermodynamischen Gesetz!) Das auf diese Weise entstehende Gewebe wechselseitiger Abhängigkeiten ist die Arbeitsdemokratie.

Warum die Welt nicht in diesem Sinne arbeitsdemokratisch ist, sondern es auf dem Markt immer noch so zugeht, daß, genau wie zuvor bei Raub- und Beutetieren, "kannibalistisch" der Stärkere über den Schwächeren herfällt, versucht Hass mit dem "Psychosplit" zu erklären (4). Der Psychosplit ist eine "Störung in der Verhaltenssteuerung", die unsere Vorfahren vor etwa 10 000 Jahren ereilte, als mit der Herstellung von zusätzlichen Organen durch Spezialisten Egoismus, Habgier und Mißgunst im Verhalten gegenüber der Energiequelle kontraproduktiv (nicht etwa "böse"!) wurden.

Hätten wir es mit orgastisch potenten Menschen zu tun, wäre das der Anfang der Arbeitsdemokratie gewesen. Orgastische Potenz setzt nämlich die Triebforderungen an das Ich herab und macht den Kopf für ökonomisch rationales Handeln frei. Und tatsächlich gab es, entgegen Hass' Konstruktion, so etwas wie eine "Ur-Arbeitsdemokratie" (Reich), wie DeMeo in seiner Saharasia-Theorie gezeigt hat (8). Doch mit dem "Einbruch der sexuellen Zwangsmoral" vor 6 000 Jahren, also mit der bis heute fortschreitenden globalen Ausbreitung "Saharasias", wurden die oben erläuterten tierischen Instinkte, die "sekundären Triebe" (zu diesem nur scheinbaren Widerspruch siehe Biologische Entwicklung aus orgonomischer Sicht), akut und haben seitdem unser Wirtschaftsleben (ob in der Sklavenhaltergesellschaft, im Feudalismus oder im Kapitalismus) bestimmt.

Hass zitiert dazu F.A. Lange (der einen so ungeheuren Einfluß auf Reichs Denken hatte): die kaufmännischen Erfahrungen aller Zeiten hätten "unbestreitbar darauf hingewiesen, daß das Individuum nur durch rücksichtslose Verfolgung seiner eigenen Interessen zu materiellem Wohlstand gelangen kann" (4:150). Reich kannte diese kaufmännische Welt aus eigener Anschauung und es ist nur verständlich, daß er sich angewidert dem Marxismus zuwandte, der diesem Alptraum ein Ende setzen wollte. Doch Lange, Marx und ihre Nachfolger haben entgegen ihrem eigenen Anspruch "ahistorisch" gedacht. Zwar beriefen sie sich auf die von Darwin freigelegte Naturgeschichte, aber sie erkannten weder die Kontinuität der Evolution von den Vielzellern zu den Hyperzellern, noch den entscheidenden Bruch, der mit dem neuen "tauschgerechten" Energieerwerb der Hyperzeller einher ging.

So absurd es auch klingen mag: die gesamte kaufmännische Ausrichtung darf, will man langfristig erfolgreich sein, nicht von Egoismus und Habgier geprägt sein, sondern von Entgegenkommen und "Mitgefühl", d.h. Offenheit für die Bedürfnisse und Gefühle des anderen. Quasi wie ein Orgontherapeut muß sich der Anbieter in seinen Kunden hineinfühlen. Er "muß gleichsam mit dem eigenen Gehirn in jene von Fremden übersiedeln und sich überlegen, welche Bedürfnisse, Wünsche und Vorstellungen dort vorhanden sind; welche Aversionen, Ängste und Probleme dort die Entscheidungen beeinflussen" (4:160).

Diese einzig gewinnversprechende Strategie wird vor allem durch die Geldgier hintertrieben. Unbewußt bedeutet der Kunde für den von seinen sekundären Trieben bestimmten, d.h. habgierigen und rücksichtslosen, Anbieter Nahrung (er kann mit seiner Hilfe sein Leben fristen). Der Kunde löst wie bei einem bedingten Reflex die alten Raubinstinkte aus. Es ist sogar noch schlimmer, denn natürlich geht es gar nicht um den Kunden selbst, sondern um dessen Geld - und Geld, das mit allen Gütern dieser Welt assoziiert wird, ist ein schier unwiderstehlicher "übernormaler Schlüsselreiz".(7)

Wir haben hier eine klassische Selbstblockade vor uns, denn "um im Gelderwerb erfolgreich zu sein, ist es richtig, nicht an diesen Erwerb sondern an die Probleme und Interessen des jeweiligen Nachfragers der eigenen Leistungen zu denken, sich möglichst auf diese zu konzentrieren - während das Geld es zuwege bringt, daß wir dies nicht tun" (4:123f). In seinem Wahn, seine eigenen Interessen zu verfolgen, stellt sich der von einer Leidenschaft besessene "bornierte Egoist" (16:82) selbst ein Bein.

In einer arbeitsdemokratischen Gesellschaft sollte der Nachfrager das Angebot bestimmen, stattdessen werden ihm aus purer Geldgier unzweckmäßige Produkte und Dienste aufgedrängt. Statt der Entwicklung der Wünsche und Bedürfnisse des Nachfragers bereits einige Schritte voraus zu sein, werden ihm durch Manipulation vom Anbieter fremde Wünsche und Bedürfnisse untergeschoben. Was das konkret bedeutet, verdeutlicht der Unternehmensberater Wolfgang Mewes, wenn er die bemerkenswerte Tatsache konstatiert: "In der deutschen Wirtschaft haben sich seit 1900 die Funktionen (Aufgaben) etwa im Verhältnis 1 zu 10.000 spezialisiert, die Bewerber aber allenfalls im Verhältnis 1 zu 100. Die Folge ist, daß Wirtschaft und Gesellschaft einen unterschwelligen Bedarf an unendlich vielen neuen Spezialfähigkeiten haben, die ihnen aber immer erst dann bewußt wird, wenn eine solche neue Spezialfähigkeit angeboten, wenn sie also bewußt gemacht wird" (4:172).(8)

Der Psychosplit hintertreibt nicht nur eine gedeihliche Beziehung zwischen Anbieter und Kunden, sondern untergräbt auch die Symbiose (siehe den 4. Abschnitt) zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Im Arbeitsleben sollten (ganz im langfristigen egoistischen Eigeninteresse des Unternehmers) die Wünsche und Bedürfnisse des produktiven Kerns des Unternehmens, also der Mitarbeiter, im Mittelpunkt stehen, stattdessen werden Menschen wie beliebige Produktionsmittel behandelt und so die "lebendige Produktivkraft" erstickt. Hass schreibt dazu: "Je mehr Unternehmen zu einer alle Teile befriedigenden Ganzheit werden, um so erfolgreicher wird ihre Leistung. Von zentraler Bedeutung ist, daß der Arbeitgeber die Arbeitnehmer nicht als Produktionsmittel betrachten - und der Arbeitnehmer den Arbeitgeber nicht als Melkkuh" (4:284).(9)

Hier geht es nicht um moralische Appelle, sondern um die beste Strategie zur (langfristigen, vollkommen egoistischen) Profitmaximierung - die in der zweiten Hälfte der Evolution nur wechselseitig zum beiderseitigen Gewinn erfolgen kann. Das betrifft nicht nur die "Klassenkämpfe" der Marxisten und anderer Roter Faschisten, sondern erstreckt sich sogar auf die Weltpolitik. Hier gilt es als selbstverständlich, daß sich die Staaten beim Streben nach einer positiven Handelsbilanz rücksichtslos auf die eigenen Vorteile konzentrieren. Weit rationaler, d.h. wirklich den eigenen Interessen gemäß, wäre es jedoch, dem Vorteil des anderen zu dienen. In diesem Zusammenhang verweist Hass auf den Marshallplan und die Entwicklungshilfe mancher Länder, "die sie nicht als bloße Almosengabe oder selbstsüchtige Marktschaffung betrieben" (4:127f).

Aus strickt evolutionärer Sicht sind Klassenkampf und Imperialismus obsolet. Sie sind weder notwendig, unvermeidbar, "natürlich", noch auch nur in irgendeiner Weise effektiv, produktiv und profitabel! Genauso wie die Orgonomie ist auch die Energontheorie das definitive Ende aller rot- und schwarzfaschistischen Ideologien.

 

 

6. Die Entfremdung des Lebendigen

Reich zufolge ist Leben Pulsation von freier Orgonenergie in einer materiellen Membran aus "erstarrter Orgonenergie" (15:51). Nun ist es aber so, daß (mal vom im 5. Abschnitt behandelten Produktionsmittel Mensch und anderen Lebewesen abgesehen) an den zusätzlichen Organen der Hyperzeller (etwa dem Auto des Handelsvertreters oder einem Verwaltungsgebäude von IBM) nichts pulsiert. Es ist aber sofort einsichtig, daß ohne diese künstlichen Organe der Kern des Hyperzellers (der Mensch mit dem Beruf "Handelsvertreter" bzw. die Mitarbeiter von IBM) langfristig überhaupt nicht pulsieren könnte.

Alle nichtpulsierenden Strukturen, die uns umgeben, also zusätzliche Organe wie Kleidung, Häuser, Autos, etc., dienen, auch wenn sie selbst anorganisch starr sind, letztendlich nichts anderem als dem Schutz unserer organismischen Pulsation. (Jedenfalls sollten sie ihr dienen!) Es käme niemand auf die Idee Hautschuppen, Haare, Zeh- und Fingernägel nicht zum pulsierenden Organismus zu rechnen. Auch das Schneckengehäuse pulsiert nicht, gehört aber trotzdem zweifellos untrennbar zum Lebewesen Schnecke. Warum dann nicht auch das gleiche Schneckenhaus beim Einsiedlerkrebs, wo es dem selben Zweck dient? Ähnlich muß man Einrichtungen wie Häuser und Zentralheizungen, Maschinen wie Autos, Kühlschränke und Drehbänke und Unternehmen wie die Deutsche Bank, Hoechst oder Volkswagen betrachten.

Sowohl bei einer nach außen hin anorganisch erscheinenden Schnecke als auch bei einem Hyperzeller ist es der aufbauende und steuernde Zellkörper im Zentrum, der das "Leben" konstituiert. Wie unlebendig der Einzeller (etwa eine Spore), der Vielzeller oder der Hyperzeller nach außen hin auch immer erscheinen mögen: sie alle sind aus einer heftig pulsierenden Keimzelle hervorgegangen.(10) Reich spricht von der aktuellen "Amöbe im Vielzeller" (14:126), die den vegetativen Kern des Vielzellers ausmacht. Geht diese "Amöbe" ein, wie etwa in der Krebsschrumpfungsbiopathie, zerfällt auch der Vielzeller. Ebenso stirbt der Berufskörper ab, wenn seine Keimzelle, der Mensch, ihm kein Leben mehr schenkt. Das läßt sich sogar auf Erwerbsorganisationen übertragen, die unfehlbar zugrunde gehen, wenn die jeweilige "Keimzelle" einschneidende Managementfehler begeht oder zwischen den Mitarbeitern der lebendige Austausch unterbrochen ist.(11)

Zur Frage, was eigentlich "Leben" ausmacht, gehört ein zweiter Problemkomplex: Was hat den Menschen dazu gebracht unlebendig zu werden, sich abzupanzern, "maschinell zu entarten"? Alle zusätzlichen Organe, alle "Maschinen", des Menschen dienen zwar dem Schutz der organismischen Pulsation, aber leider haben die toten zusätzlichen Organe gleichzeitig auf das lebendige Protoplasma des Menschen, ihre Keimzelle, rückgewirkt und sie nach ihrem Muster umgeformt. Hass zufolge besteht das Grundprinzip der menschlichen Machtentfaltung im zweiten Teil der Evolution darin, "daß die Funktionserfüllungen sich vom Körper lösten, während die Steuerung - zumindest teilweise - beim Gehirn verbleibt" (1:119). Damit geht jedoch gleichzeitig eine "Ohnmacht" einher, denn der Mensch müsse ständig darum ringen, daß ihm die Kontrolle über seine zusätzlichen Organe nicht aus den Händen gleite und sie Macht über ihren Herrn gewinnen, d.h. aus Unterstützern der Keimzelle Unterdrücker derselben werden. Wobei Hass, wie wir im 7. Abschnitt sehen werden, wegen seines Lebensbegriffs natürlich nicht sagen kann, weshalb eigentlich der Mensch nicht in seinen (materiellen und "immateriellen") künstlichen Organen aufgehen soll und weshalb Kinder frei aufwachsen sollen.

Reich zufolge konnte sich der Diener zum Herrn aufschwingen, weil der gepanzerte Mensch, angewidert von seinen sekundären Trieben, kein pulsierendes, sexuelles Tier mehr sein wollte und sich deshalb mit der vermeintlich perfekten Maschine, also mit seinen zusätzlichen, künstlichen Organen identifizierte. Aber lassen wir Reich selbst zu Wort kommen: "Das Leben des Menschen ist aufgespalten in ein Leben nach biologischen Gesetzen (sexuelle Befriedigung, Nahrungsaufnahme, Naturverbundenheit) und ein zweites Leben, das durch die Maschinenzivilisation bestimmt ist (maschinelle Ideen über seine eigene Organisation, seine herrschende Stellung im Tierreich, sein rassen- oder klassenmäßiges Verhalten zu anderen Menschengruppen, Wertideen über Besitz und Nichtbesitz, Wissenschaft, Religion etc.) Tiersein und Nichttiersein, biologische Verwurzelung auf der einen und technische Entwicklung auf der anderen Seite, spalten ihn in seinem Dasein und Denken auf. Alle Vorstellungen nun, die der Mensch von sich entwickelt hat, lehnen sich durchwegs an das Vorbild der Maschinen an, die er geschaffen hat. Der Maschinenbau und die Maschinenhandhabung haben den Menschen mit dem Glauben erfüllt, daß er sich selbst in die Maschinen hinein und durch sie hindurch fort - und 'höher' entwickle. (...) Das Produkt der mechanistischen Technik wurde so die Erweiterung seiner selbst. Die Maschinen bilden in der Tat eine mächtige Erweiterung seiner biologischen Organisation. Sie befähigen ihn, die Natur in einem weit höheren Grade zu bewältigen, als seine Hände allein es ihm ermöglichten. Sie geben ihm die Herrschaft über Raum und Zeit; so wurde die Maschine ein Stück des Menschen selbst, ein geliebtes und verehrtes Stück. Er träumt davon, daß diese Maschinen ihm sein Leben leichter machen und ihn selbst genußfähiger machen werden. Der Lebensgenuß mit Hilfe der Maschinen ist sein Traum von jeher. Und die Wirklichkeit? Die Maschine wurde, ist und wird sein gefährlichster Zerstörer bleiben, wenn er sich nicht von ihr differenziert" (12:296f).(12)

Diesen Vorgang kann heute jedermann im Zusammenhang mit dem Computer (oder gar dem "Cybersex") unmittelbar beobachten. Aus einem zusätzlichen Organ, das der freien Pulsation des Zellplasmas dient (ursprünglich wurde der Computer für die militärische Nutzung, also den Schutz der Pulsationsfunktion entwickelt), wird ein Selbstzweck, der unsere Kinder nach seinem Muster prägt und aus ihnen seelische Krüppel macht. Man setze sich nur in die Computer-Ecke eines Kaufhauses und beobachte die jugendlichen Computer-Zombies. Der Mensch verändert sich in seinem Denken, in seinem Fühlen und selbst in seinem Körper und verwandelt sich in einen Roboter. Ein Wesen, das (wie in Science Fiction-Filmen zu sehen) in jeder Beziehung besser ist als das Menschentier. Ein Wesen, das nicht verletzlich ist, nicht pulsiert und vor allem keine Genitalien hat.

 

 

7. Das Lebendige unter "Leistungsdruck"

Im orgonomischen Sprachgebrauch ist der Begriff "Funktion" unlösbar mit der bifurkativen Entfaltung verbunden (siehe das Symbol des Orgonomischen Funktionalismus). Man betrachte etwa den menschlichen Organismus, der sich aus einer Eizelle (aufgrund der Orgasmusfunktion) durch ständige Teilung entwickelt hat und auf dieser Grundlage aktuell weiterfunktioniert. "Funktion" bedeutet die Tätigkeit eines Teiles, z.B. des Herzens, in bezug auf das Ganze, den Organismus in seiner Gesamtheit. Da dieses Zusammenspiel von Teil und Ganzem aber ontogenetisch (und letztendlich phylogenetisch - vgl. die Einleitung) ausschließlich und lückenlos aus der Bifurkation hervorgegangen ist, kann dieses Zusammenspiel nicht anders als "bifurkativ", d.h. funktionell ("orgonometrisch") beschrieben werden.

Mit der kosmischen Lebensenergie "Orgon" hat Reich entdeckt, daß ausnahmslos alles, auch alles außerhalb des lebenden Organismus in der "unbelebten" Natur, von den funktionellen = "bifurkativen" Gesetzmäßigkeiten regiert wird und deshalb orgonometrisch beschrieben werden muß. Dies hebt aber weder den Unterschied zwischen Belebtem und Unbelebtem auf (die unterschiedlichen Funktionsgesetzen folgen [14]), noch den zwischen Funktionellem und Mechanischem (das Mechanische geht aus dem Funktionellen hervor und kann sich gegen es stellen, auf es rückwirken, es "verbiegen", umleiten und steuern [15]).

Hätte Hass den für die Energontheorie so wichtigen Begriff der "Keimzelle" wörtlich genommen, wäre er vielleicht ebenfalls zu funktionellen, "bifurkativen" Formulierungen gelangt, doch stattdessen verschwimmen bei ihm alle Unterschiede zwischen dem Funktionellen und dem Mechanischen. Zwar beschränkt er den Begriff "Funktion" auf Organismen (bzw. Energone), beraubt ihn dann aber sofort wieder buchstäblich seines "lebendigen Inhalts", indem er ihn von der "benötigten Leistung" her definiert, die dem Organismus als Aufgabe von der Umwelt aufgezwungen wird. Deshalb werden bei Hass die Begriffe "Funktion" und "Leistung", die er formal natürlich richtig benutzt (siehe den 2. Abschnitt), imgrunde austauschbar.

Auf diese Weise werden zwei grundverschiedene Ebenen miteinander vermengt, die in etwa dem von Reich herausgearbeiteten Gegensatz von innerem (primärem) Impuls und dem von außen aufgeprägten Charakter entsprechen. Hass verwischt den "Gegensatz von Ich und Außenwelt"; jenen "Urkonflikt", dessen Erforschung Reich (man könnte sagen "von Stirner kommend") in die Biophysik führte (14). Zwar stellt sich, wie wir im 8. Abschnitt sehen werden, auch Hass fast "Stirnerisch" schließlich auf die Seite des "Ich" gegen das "Über-Ich", aber wegen seines leistungsfixierten Funktionsbegriffs, der es ihm konzeptionell unmöglich macht, den "Urkonflikt" zu erfassen, ist ihm die für diese seine Positionierung notwendige biophysikalische Fundierung unzugänglich.

Den Konflikt zwischen der organischen Entfaltung der Funktionen und der Umwelt kann man am besten am Verhältnis von Sexualität und Fortflanzung festmachen. Sexualität beruht auf der Entladungsfunktion und läßt sich bis auf die Zellteilung bei Einzellern zurückverfolgen. Sie ist die expansive, lustvolle Lebensfunktion schlechthin, also das, was "Leben" erst konstituiert (14). Die natürliche Auslese hat jedoch ausschließlich den rein mechanischen Fortpflanzungserfolg bewerten können. Im Endeffekt wurde so die zugrunde liegende Funktion des Orgasmus, die nicht direkt mit dem Fortpflanzungserfolg verbunden ist, verzerrt und unterdrückt (siehe Biologische Entwicklung aus orgonomischer Sicht). Die mechanistischen Biologen, inklusive Hass, sind in dieser einseitig leistungsfixierten, geradezu "patriarchalischen" (d.h. die Fortpflanzung honorierende und die Sexualität blockierende), Perspektive des Entfaltungsstroms gefangen. So taucht, mit einer bemerkenswerten Ausnahme, die im 8. Abschnitt diskutiert wird, die Sexualität in der Energontheorie gar nicht auf! Reich hingegen hat sich "außerhalb" gestellt, beide Hälften der Lebensentfaltung überblicken können, und wirklich funktionell, d.h. in Übereinstimmung mit der autonomen Entfaltung der Funktionen, gedacht.(13)

Bei Hass werden alle Lebenserscheinungen einseitig auf die "Steuerkausalität" zurückgeführt, bei der die "Verknüpfung zwischen Ursache und Wirkung in ihr Gegenteil verkehrt wird" (3:88). Demnach ist ein Organ ein "Schlüssel", mit dem die Energiequelle (das "Schloß") aufgeschlossen wird (Kausalität), jedoch ist es, getreu der Hass'schen Definition der Funktion von der Leistung her, das "Schloß", welches die Form und Arbeitsweise des zu seiner Erschließung geeigneten Organs bestimmt (Steuerung). Verändert sich z.B. die Energiequelle einer Gruppe von Pflanzen, indem sie von anderen Pflanzen überschattet werden, sterben die kleinblätterigen Pflanzen aus, während die Nachkommen jener Pflanzen, die zufällig größere Blätter hatten und entsprechend leistungsfähiger waren, die neue Pflanzenpopulation prägen. Im Endeffekt sieht das dann so aus, als würde das doch erst auf den Plan tretende neue "Schloß" (eine verminderte Sonneneinstrahlung) die bereits längst vorhandenen "Schlüssel" (größere Blätter) determinieren. Diese Steuerkausalität habe im Laufe der Jahrmillionen aus Molekülen Einzeller gemacht, ihr Zusammengehen zu Vielzellern gesteuert und deren weitere Entwicklung bestimmt - sei also für all das verantwortlich, was wie das Produkt der Eingangs beschriebenen "bifurkativen", funktionellen Entwicklung aussieht. Folglich sind, Hass zufolge, alle "vitalistischen", "lebensenergetischen" Konzepte in der Biologie obsolet!

Was sich jedoch funktionell hinter der Steuerkausalität verbirgt, haben wir bereits im 5. Abschnitt an einem anderen Beispiel dafür gesehen, wie die Energiequelle die Energone bestimmt: "die Nachfrage bestimmt das Angebot", d.h. die Energiequelle trifft eine Auswahl unter verschiedenen vorliegenden Funktionen, die sich, sozusagen außerhalb von Hass' Blickfeld, vollkommen unabhängig von irgendwelchen geforderten Leistungen aufgrund ihrer eigenen Gesetzmäßigkeiten bifurkativ schon entfaltet haben. Und genauso wie in der Wirtschaft das Angebot vielgestaltig und flexibel sein muß, um die sich ständig verändernden Bedürfnisse befriedigen zu können, ist auch in der ersten Phase der Evolution die ungestörte reichhaltige Entfaltung der lebendigen Funktionen Voraussetzung für die Erfüllung der jeweils später zufällig abverlangten neuen Leistung.

Mit der Steuerkausalität ist es ähnlich bestellt wie mit dem im 1. Abschnitt erläuterten Paradoxon einer sekundären Energie, die dem Zweiten Thermodynamischen Gesetz folgt und trotzdem Grundlage des negentropischen Phänomens Leben sein soll. So wie das Energon, das von einem energie-akkumulierenden Vorgang abhängt, ohne negentropische Orgonenergie, also das dem Zweiten Thermodynamischen Gesetz entgegenwirkende Orgonomische Potential, das für das nötige Energiegefälle sorgt, unerklärlich bleiben muß, kann auch die "Steuerkausalität" nur dann funktionieren, wenn ihr das "Material", mit dem sie zu arbeiten vermag, buchstäblich entgegengebracht wird. Ohne diese beiden Voraussetzungen können lebendige negentropische Energone nicht aus einer toten mechanischen und entropischen Welt hervorgehen.

Hass selbst kommt diesem Gedanken recht nahe, wenn er die alte Scherzfrage: "Was war früher - die Henne oder das Ei?" dahin beantwortet, daß es die Henne gewesen sein muß. Aus energontheoretischer Sicht wäre Fortpflanzung nämlich nichts anderes als eine besondere Art von Regeneration, weshalb am Anfang dieser Kette Strukturen hätten stehen müssen, die aktiv ein Energiegefälle aufbauen und beständig weitere Überschüsse an freier Energie erwirtschaften konnten (2, 2. Teil:89). Die Frage, wie eigentlich diese ersten Energone in die Welt gekommen sind, kann er aber nur mit der Leerformel "Zufall" beantworten (vgl. 3:173).

Reich hingegen hat experimentell nachgewiesen, daß am Anfang dieser Kette ein Vorgang steht, bei dem nicht durch "Zufall" Einzelteile anfangen als Ganzheit zu funktionieren, die sich durch kybernetische Rückkoppelungen immer weiter perfektioniert, sondern in der Urzeugung auf eine gesetzmäßige Weise primordiale Funktionen (Überlagerung, Orgonomisches Potential, Pulsation, etc.) wirksam werden; Funktionen, die in der weiteren Entwicklung in Funktionsweise (der "animalische Impuls", der den lebendigen Organismus vom chemisch identischen Leichnam unterscheidet) und Struktur (die Orgonom-Form) der pflanzlichen und tierischen Energone augenfällig werden (15) - und dann dem Druck der natürlichen Auswahl unterliegen.

Entsprechend kann Hass mit seiner Steuerkausalität zwar überzeugend darstellen, wie sich durch die natürliche Auslese der Artenwandel in der Natur vollzogen hat, doch er erklärt nicht die verblüffende morphologische Konstanz, die Reich bei den Lebewesen beobachtet hat. Warum, so ist zu fragen, sind sich fast alle pflanzlichen und tierischen Leistungsgefüge morphologisch so verblüffend ähnlich. Reich hat diese Formgesetze in Die kosmische Überlagerung (15) erläutert. Doch nach Hass' Theorie, der zufolge ausschließlich die Effizienz der erbrachten Leistungen die Evolution bestimmt, müßte die Natur von abenteuerlich geformten Monstren bevölkert sein, so wie unsere Maschinenparks von Gestalten geprägt werden, die keinerlei Formgesetzen, sondern einzig und allein Leistungskriterien folgen.

Reich hat das Gemeinsame Funktionsprinzip (CFP) entdeckt, das den lebendigen Strukturen ihre unverwechselbare Identität und Individualität gibt, während Hass mit dem Entfaltungsstrom jene Instanz offengelegt hat, die aus den Lebensstrukturen bloße Leistungsgefüge ohne eigene Identität macht, bloße "Maschinen". Der entsprechende Bruch zwischen den zwei Phasen der Evolution, den Hass nur ansatzweise erfaßt hat, stellt sich wie folgt dar: In der ersten Phase der Evolution bildeten sich neue Organe wahrhaft "organisch" durch Funktionserweiterungen und Funktionswechsel alter Organe. So konnten sich z.B. die Flügel der Vögel nur aus den vorderen Extremitäten von Vierbeinern entwickeln. Die natürliche Auslese mußte mit einem quasi elastischen Material arbeiten, das ein autonomes Eigenleben führte. In der zweiten Evolutionsphase fehlt dieser "plastische Funktionszusammenhang". Hier entstehen die Tragflächen von Flugzeugen sozusagen aus dem Nichts. Sie sind buchstäblich "Kopfgeburten". Auf diese Weise hat sich der Mensch von den funktionellen Grundlagen lösen können. Das einzige Kriterium, was noch zählt, ist die Leistung, während organische Zusammenhänge keinerlei Rolle mehr spielen und sogar als störend empfunden werden. Dieses maschinenhafte Denken hat dann auf die Biologie übergegriffen (vgl. den 6. Abschnitt) und leider auch die Energontheorie infiziert und eines Großteils ihres Potentials beraubt.

Man kann davon sprechen, daß beim Menschen die Entwicklung der Energone sich vollends von ihrem Fundament in der kosmischen Orgonenergie gelöst hat und sozusagen "steuerkausal" Amok läuft: der leistungsfixierte Entfaltungsstrom hat sich von allen funktionellen Beschränkungen emanzipiert. Deshalb kann nur eine Rückbindung der zusätzlichen Organe an die kosmische Orgonenergie, also eine angepaßte, "orgonomische" Technologie, dem Menschen eine lebenswerte Zukunft sichern.

 

 

8. Die freie Entfaltung des Lebendigen und des Individuums

Reich zufolge dient die Sexualität dem periodischen Ausgleich des Aufladungsüberhangs orgonotischer Systeme. Beim Einzeller erfolge dies durch Zellteilung und beim Metazoon durch die orgastische Konvulsion, die Erleichterung und damit Lust verschaffe (14). Demgegenüber ist Hass vollständig auf den Gesichtspunkt des Energieerwerbs fixiert. Für ihn ist das Tier primär ein "sich fortpflanzender Darm" (2, 1. Teil:83).

Beim Hyperzeller jedoch traf Hass neben dem Berufskörper, der der Energiegewinnung dient, auf einen zusätzlichen "Luxuskörper", dessen einzige Funktion die Energieentladung zum Erzielen von Lust ist. Wie sollte Hass im Rahmen seiner Theorie erklären, daß ein Großteil der vom Berufskörper erwirtschafteten Energie für den Lustgewinn seiner menschlichen Keimzelle, aus evolutionärer Sicht, vollkommen sinnlos verpulvert wird, zumal dieser Lustgewinn anders als im Tierreich nichts mit der Erzeugung neuer Energone zu tun hat? Hass fand schließlich, daß sich der Luxuskörper deshalb in der Evolution hat behaupten können, weil er den Bedarf schafft, von dem andere Hyperzeller leben. Dieser Mechanismus sei in der Evolution grundsätzlich neu.

Im 5. Abschnitt wurde dieser Unterschied zwischen dem Energieerwerb der Energone in der ersten und der zweiten Phase der Evolution erläutert. Aus orgonomischer Sicht - und das zeigt wieder, wie die beiden Theorien sich gegenseitig ergänzen - erweist sich nun, daß imgrunde gar kein Bruch (Stichwort "Psychosplit") in der Kontinuität der Evolution vorliegt, denn gerade die Ausbildung eines Luxuskörpers bei den Hyperzellern ist ein schlagender Beweis für die funktionelle Identität von Pflanzen und Tieren einerseits und den Berufstätigen und Erwerbsorganisationen andererseits. Wenn nämlich die Orgonomie recht hat, müssen ausnahmslos alle Energone primär sexuelle Lebewesen sein. Für den Berufstätigen mit seinem Luxuskörper trifft dies sogar noch weit mehr zu als für Pflanzen und Tiere, denn aller "Luxus" läßt sich mehr oder weniger direkt auf das Streben nach sexueller Erfüllung zurückführen (siehe Ökonomie und Sexualökonomie). Damit steht aber auch etwas im Mittelpunkt der zweiten Phase der Evolution, was die Energontheorie mit ihren Begriffen nicht erfassen kann: die Funktion des Orgasmus und die orgastische Potenz bzw. Impotenz.

Hass zufolge wird in dieser Evolutionsphase das gesamte Leben auf diesem Planeten durch die alles besiegende Kraft des Entfaltungsstroms, der immer mehr Materie zusammenballt und organisiert, bedroht. Scheinbar kann nichts mehr die Berufstätigen und Erwerbsorganisationen in ihrem "bornierten Egoismus" davon abhalten, diesen Planeten in einen mit ihren Abfallprodukten übersäten Mond zu verwandeln. Das ganze mutet an wie ein auf orgastischer Impotenz beruhender biopathischer Überladungsprozeß.

Das illustriert die folgende Passage bei Hass, die sozusagen die "orgastische Impotenz" des Entfaltungsstroms vor Augen führt: "Je größer und mächtiger der Prozeß des Lebens wird, um so kleiner, um so mehr Teilchen seiner übermächtigen Strömungen wird der Mensch. In seinem Inneren wirbeln die Triebe, stoßen einander, behindern einander, während der Intellekt, so gut er es vermag, nach einem festen Standort sucht. Über alles das jedoch strömt die Entfaltung der Energone völlig rücksichtslos hinweg. Solange die Keimzelle Mensch agiert und sich bemüht, läuft der Motor. Eine Mechanik, sich selbst zu bremsen, an der eigenen Potenz und am eigenen Volumen nicht letztlich zugrunde zu gehen und sich so schließlich selbst zu zerstören, hat dieses blinde energetische Geschehen einstweilen noch nicht hervorgebracht" (3:285f). - Besser kann man das Wesen der orgastischen Impotenz kaum beschreiben!

Das Luxusstreben stachelt die Lebensentfaltung immer weiter an: alle wollen in ihrer Besessenheit mehr und immer mehr - bis der gesamte Planet zugemüllt und unbewohnbar geworden ist. Hier liegt der gleiche Gegensatz vor, wie in der Sexualität: einer befriedigten, bzw. befriedigbaren Sexualität, die den Kopf frei läßt für höchste kulturelle Interessen und Leistungen, steht eine promiskue, suchtartige, "pornographische" Sexualität gegenüber, die den gesamten Lebensinhalt ausmacht und deshalb bis ins hohe Alter durch Viagra aufrechterhalten werden muß, um die innere Leere zu überspielen. Genauso sieht es im Luxuskörper aus: Qualität und hohe Kultur, gegen Quantität und "Unterhaltungsindustrie".

Hass verleiht der Hoffnung Ausdruck, daß das rein quantitative Wachstum des Entfaltungsstroms von einem qualitativen Wachstum, einer kulturellen Evolution, aufgefangen und entschärft wird. Der Mensch soll sich von der bisherigen rein auf "Leistung" fixierten Entwicklung der Energone emanzipieren. Da Hass aber selbst in einem einseitig auf Leistungserbringung orientiertes biologisches Denken gefangen ist, weiß er nicht, an welche "Instanz" er seinen Appell eigentlich richten soll. Diese, der Instanz Entfaltungsstrom entgegenstehende, Instanz ist die Orgasmusfunktion, d.h. die Gesamtheit der organischen, sich autonom entfaltenden Lebensfunktionen. Erst vor einem solchen orgonomischen Hintergrund würde die Hass'sche Analyse in mehr enden als in einer weiteren hilflosen Ermahnung an die Menschen, sich doch bitte "vernunftgemäß" zu verhalten.

Es liegt, so Hass, im Interesse des unkontrolliert wuchernden Entfaltungsstroms, daß der einzelne eine willige Energiequelle für die Berufstätigen und Erwerbsorganisationen wird, indem er möglichst viel und "bewußtlos" konsumiert und sich dafür abrackert; d.h. er soll ein Leben führen, das seinen eigenen Interessen widerspricht, möglichst keine eigene Meinung haben und sich den Gepflogenheiten seiner Umgebung anpassen. Die von der Zerstörung des Lebendigen lebende Entfaltung des "Lebens" will, daß die Menschen selbstvergessene, konsumorientierte, unkritische "RTL-Gucker" werden, die sich einbilden Egoisten zu sein, in Wirklichkeit aber einzig und allein dem Egoismus der Instanz "Lebensentfaltung" dienen. Also Menschen, die sich genauso verhalten wie Pflanzen und Tiere, die sich für die Fortpflanzung und sogar für die Evolution opfern. Man betrachte sich nur einmal die Werbung im Fernsehen, die immer offener bornierten Egoismus, haltlose Gier und hinterhältige Mißgunst anheizt und gesellschaftsfähig macht.

Dagegen verlangt Hass, ganz im Sinne Stirners, nach einem Menschen, der darauf ausgerichtet ist, sich von direkter oder indirekter Beeinflussung freizuhalten. Das eigentliche Anliegen von Hass liegt darin, das Individuum vom "Über-Ich" zu befreien.(14) Dabei kommt er, wie in der Einleitung bereits angedeutet wurde, den Reichschen Konzepten von den "Kindern der Zukunft" und dem "Genitalen Charakter" recht nahe, z.B. wenn er schreibt: "Will der Mensch sich weiter entfalten, dann darf das Kind nicht als ein [zusätzliches] Organ der Eltern oder der Gemeinschaft angesehen werden - sondern als ein sich bildendes, zu respektierendes eigenes Selbst. (...) Die jeweils erziehende Generation sollte den Mut finden, eine wirklich freie Entfaltung zu fördern - auch auf die Gefahr hin, daß diese sich dann gegen ihre eigenen Überzeugungen richtet" (1:245, Hervorhebungen hinzugefügt).

Über das, wie er es nennt, "Entmanipulieren" des Menschen schreibt er: "Ein besonders gefährliches Beinflussungsinstrument ist die Ausnützung der Prägung - denn diese ist zu einem Zeitpunkt wirksam, da der Mensch noch nicht abwehrbereit ist. In diesem (....) Modell [der "Entmanipulierung"] wird deshalb Wert darauf gelegt, daß dem Kind keine Wertungen (besonders ethische) eingeimpft werden, durch die seine spätere eigene Beurteilungsfähigkeit beschränkt wird. Viele traditionell weitergegebene Gemeinschaftsansichten haben ebenfalls prägungsartigen Charakter. Deshalb werden in diesem Modell sämtliche Wertungen, auch die allerselbstverständlichsten überprüft" (2, 2. Teil:277f).

Dieses Zukunftsmodell "wird somit von einem Menschentyp getragen, der durch gezielten, unscheinheiligen Egoismus charakterisiert ist. Sein Hauptanliegen besteht darin, sich im Rahmen des Möglichen individuell zu entfalten und sich von direkter (gewaltsamer) oder indirekter (über Wunscherweckung erfolgender) Beeinflussung freizuhalten. Auf seiner Fahne steht wieder 'Freiheit', jedoch vielleicht zum ersten Mal völlig zu Recht. Sein zentrales Streben ist: Herr im eigenen Haus zu sein. Es läuft darauf hinaus, das Ich von allen fremddienlichen Einheiten zu befreien - so daß jede tatsächliche Fremddienlichkeit eine durchaus selbstgewollte und somit freie ist. Endziel ist hier ein möglichst 'freier Wille'" (2, 2. Teil:279).

"In letzter Konsequenz" könnte, so Hass, diese Emanzipation des Menschen vom Entfaltungsstrom eben diesen Entfaltungsstrom sogar fördern, indem sie zwar dessen maximale Expansion unterbindet, "jedoch andererseits sicherstellt, daß dieses blinde physikalische Geschehen sich nicht am Ende selbst zerstört" (3:153). Unwillkürlich muß man dabei an das letzte Kapitel von Reichs Die kosmische Überlagerung denken, wo es um die Beziehung zwischen dem "kosmischen Energiefluß" und dem menschlichen Denken geht, das aus ihm hervorgegangen ist und ihn weiterführt (15). Im Zusammenhang mit der Emanzipation des Individuums vom Entfaltungsstrom stellt sich diese Beziehung wie folgt dar:

Wie im 7. Abschnitt angedeutet, erzeugt die masselose kosmische Orgonenergie ("das Funktionelle") in einer Art "Selbstentfremdung" ihre eigenen materiellen Beschränkungen ("das Mechanische"). In Begriffen der Energontheorie entspricht das dem Gegensatz zwischen dem Interesse der "Keimzelle" und dem Interesse des Entfaltungsstroms - der ohne die Keimzellen gar nicht existieren würde. Die lebendige Keimzelle ist in der Lage, diese "ihre selber erschaffene Kreatur wieder aufzuzehren", die eigene Selbstentfremdung aufzuheben (vgl. das Stirner-Zitat am Ende des 4. Abschnitts) und so den toten, mechanischen Entfaltungsstrom in einen wahrhaftigen Lebensstrom (vgl. den 2. Abschnitt) umzuwandeln, wenn sie sie selbst wird, wenn sie ein "mit sich selbst einiger Egoist" (vgl. 15:286), d.h. "Eigner ihrer selbst" im Sinne Stirners wird.

Wir sprechen hier von Selbstentfremdung und ihrer Aufhebung jeweils bei der kosmischen Orgonenergie und bei der Keimzelle. Beide Komplexe gehören zusammen, weil in beiden Bereichen die "bifurkative" Entfaltung des Naturprozesses bis zu dem einen, letzten und deshalb "einzigen" Gemeinsamen Funktionsprinzip (CFP) der Natur zurückverfolgt werden kann. Je nachdem, ob dieses "Zurückverfolgen" von der "objektiven, funktionellen Logik der Orgonenergie" her erfolgt oder vom "subjektiven funktionellen, logischen Denken auf der Grundlage orgonotischer Selbstwahrnehmung" (vgl. 15:133), bezeichnet man, entsprechend dem Weg auf dem man zu ihm jeweils gelangte, das eine CFP in der Mitte der Welt als objektiven "kosmischen Orgonenergie-Ozean" oder als subjektiven "Einzigen".(15)

Man könnte einwenden, daß sich Stirner gegen alle Versuche wehrt, aus dem bestimmungslosen "Einzigen" ein bestimmtes "Prinzip" machen zu wollen (17:150f). Aber erstens ist die Orgonometrie eine Methode, die jenseits von Worten funktioniert (vgl. die Einleitung) und der Begriff "Gemeinsames Funktionsprinzip" spiegelt ohnehin bloß den Vollzug des die funktionelle Entwicklung zurückverfolgenden Denkens wider, d.h. wir können zwar nur in "Prinzipien" denken, sind uns aber im klaren darüber, daß hinter dem CFP etwas steht, auf das Worte nur verweisen, es aber nicht wirklich fassen können; und zweitens spricht Stirner selbst im gleichen Absatz von der "Entwicklung des Einzigen". Diese für jeden "Einzigen", jede "Keimzelle", jeweils "ganz einzige Entwicklung" ist von der Struktur her notwendigerweise identisch mit der generellen funktionellen, "bifurkativen" Entwicklung in der Natur. Die "einzige" Identität jeder Entwicklung hängt von ihrem CFP ab. Diese funktionelle Einzigkeit, wird vom mechanischen Entfaltungsstrom bedroht. Dagegen "empört" sich der "Einzige".

Konkret kann man sich die Aufhebung der Selbstentfremdung durch Empörung, d.h. die Umwandlung des Entfaltungsstroms in einen Lebensstrom, in Analogie zur Umwandlung einer "toten Gesellschaft" in Stirners "lebendigen Verein der Egoisten" (vgl. 16:342) veranschaulichen. Diese Transformation ereignet sich, wenn nicht mehr nur die Unterdrücker, sondern auch die Unterdrückten ihren Egoismus ausleben, d.h. ihnen "das Recht" nicht mehr heilig ist. Entsprechend würde sich der Entfaltungsstrom in einen "Lebensstrom" verwandeln, wenn die einzelnen Keimzellen der Hyperzeller ihren Egoismus und damit das Lebendige über den Egoismus des Entfaltungsstroms stellen würden. Tatsächlich ist die Gleichsetzung von einerseits dem Entfaltungsstrom mit der "toten Gesellschaft" (man denke in diesem Zusammenhang nur an die heilige Instanz "Menschheit" - siehe die 3. Fußnote) und andererseits dem "Lebensstrom" mit dem "lebendigen Verein" weit mehr als eine bloße Analogie: es ist der eigentliche Kern des im 5. Abschnitt erläuterten Gegensatzes zwischen Kapitalismus und Arbeitsdemokratie (siehe dazu auch Der politische Irrationalismus aus orgonomischer Sicht).

 

 

9. Triebtheorie und Energontheorie

Aus der im 1. Abschnitt diskutierten Thermodynamik ist eine zweite wissenschaftliche Tradition erwachsen: Freuds "Libido" war ebenfalls eine unzerstörbare Energie, die nicht verschwendet werden durfte, sondern "sublimiert" werden mußte (siehe die näheren Ausführungen in Biologische Entwicklung aus orgonomischer Sicht).(16)

Auch die auf Darwin zurückgehende Verhaltensforschung steht in der besagten energetischen Tradition, obwohl es nie zu einer Begriffsbildung kam, die der psychoanalytischen "Libido" entspricht. Bevor ihr Ansatz von der rein "genetisch" orientierten "Soziobiologie" verdrängt wurde, die statt von Trieben von kompliziert verschachtelten "motivierenden Faktoren" oder "Antrieben" spricht (4:309), schalteten die klassischen Verhaltensforscher, in deren Tradition Hass steht, etwas Drittes zwischen sensorischem Eindruck und motorischem "Ausdruck": die Triebe (2, 2. Teil:164). Diese Triebe führen ein Eigenleben. "Sind sie aktiv, dann sucht das Tier nur noch nach dem Schlüsselreiz, auf den sein Triebverhalten hinzielt. Ist der Trieb abreagiert, dann achtet es auf solche Schlüsselreize nicht mehr - und andere Triebe beherrschen sein Verhalten" (2, 2. Teil:164f). Auch könne man, so Hass, beobachten, daß wenn ein Tier längere Zeit nicht auf eine bestimmte Reizkombination trifft, es unruhig wird und aktiv danach sucht. Stößt es bei dieser Suche nicht auf die Schlüsselreize, die das normale Triebverhalten zum abrollen bringen, dann kann es schließlich geschehen, daß "die Erregung in andere Kanäle überspringt". Hass weiter: "Das Tier führt dann seine Erbkoordination gleichsam in der 'leeren Luft' aus - oder eine andere, gar nicht zu diesem Instinktverhalten gehörende Erbkoordination rollt ab. Das Tier 'reagiert so seinen Trieb ab'" (2, 2. Teil:164).

Die Unmöglichkeit, einem Trieb nachzukommen oder eine Absicht zu verwirklichen, führt, so Hass, zu "aufgestauter Erregung", die als, wie er sich ausdrückt, "Notventil" Übersprungsbewegungen wie Kratzen, Nasebohren, Zahnstochern, aber ebenso Rauchen und Trinken nach sich ziehen könne (1: Bildtafel 14). Er erwähnt in diesem Zusammenhang den englischen Philosophen Herbert Spencer, der bereits 1863 darauf hingewiesen habe, daß Energie, "die in ihrem Abfluß gehemmt ist", sich "in irgendeiner anderen Richtung Lauf machen kann" und es so z.B. zum "Übersprungslachen" komme (1:144). Unmittelbar beruft sich Hass auf seinen Lehrer Konrad Lorenz, der den Vorgang der anwachsenden Erregung mit einer Flüssigkeit verglichen habe, "die in einem Gefäß allmählich höher steigt, bis sie schließlich zum Überfließen kommt." Auch die Verhaltensforscher Nikolas Tinbergen und Erich von Holst hätten von einer inneren "Aufstauung" aktionsspezifischer Energie gesprochen, die dann schließlich überfließt (1:46).

In den 1930er Jahren erklärte Tinbergen die Übersprungsbewegungen durch einen "Energieüberschuß", der seinen "Ausfluß nicht findet und deshalb auf eine andere Nervenbahn überspringt" (1:52). Besonders interessant ist dies im Zusammenhang mit der Kopulation. Tinbergen: "Bei vielen Arten kann das noch so stark erregte Männchen nicht begatten, solange ihm das Weibchen die diesen Akt auslösenden Signalreize vorenthält. Das Stichlingsmännchen z.B. wird sein Sperma nicht los, ehe das Weibchen ins Nest abgelaicht hat. Ihr Erscheinen erregt ihn aufs äußerste. Bleibt sie ihm aber die Antwort auf seinen Zickzacktanz schuldig, - noch nicht vollbrünstige Weibchen folgen oft nicht -, so geht das Männchen zum Nestfächeln über, oft mit größter Stärke und ungewöhnlich lange. Die Ausdauer und Amplitude des Übersprungsfächelns ist ein zuverlässiges Maß der sexuellen Triebstärke. Das ist zweifellos der Grund für die Häufigkeit von Übersprungshandlungen während der Balz. So putzen balzende Erpel immer ihr Gefieder, Paradiesvögel und Eichelhäher wetzen den Schnabel. Silbermöwen und andere Vogelarten füttern ihre Partner während der Werbung, wahrscheinlich durchweg im Übersprung" (18:99f).

Zusammenfassend führt Hass aus, daß sich Triebe kaum verändern lassen. Selbst der Mensch könne sie nur beschränkt beherrschen. Wie zuerst Freud beim Menschen und dann Lorenz beim Tier festgestellt habe, suchen sich unausgelebte Triebe andere Kanäle des Ausdrucks. "So beobachtete Lorenz bei einem im Zimmer gehaltenen Star, daß dieser, obwohl er gut gefüttert wurde, gleichsam 'halluzinierte', indem er - obwohl keinerlei Insekten im Zimmer waren - in die leere Luft hochfliegend Schnapp- und Fangbewegungen ausführte. Sein Hunger war zwar gestillt, doch die angeborenen Bewegungsimpulse zum Erjagen fliegender Insekten waren nicht abreagiert und machten sich so in 'Leerlaufbewegungen' Luft. (...) Freud vertrat die wohl zutreffende Ansicht, daß bei manchen Menschen, die ihren Geschlechtstrieb nicht ausleben können, die innere Erregung sich in künstlerischer Tätigkeit 'sublimieren' kann. Auch in diesem Fall aktiviert dann ein Instinkt ein durchaus anders ausgerichtetes Verhalten" (4:44f).

Hass kann nicht angeben, was für eine Energie eigentlich im Triebleben gestaut, umgelenkt und "sublimiert" wird. Hätte er diese Lücke schließen können, gäbe es kaum einen Unterschied zwischen Energontheorie und Orgonomie. Letztendlich besteht die Differenz, weil Hass, wie im 7. Abschnitt erläutert, den "Urkonflikt" zwischen Trieb und Außenwelt nicht adäquat erfassen konnte.

 

 

Zusammenfassung

Neben Reich ist auch Hass ein Repräsentant des "energetischen Funktionalismus". Das besondere an seinem Ansatz ist die Ausarbeitung des energetisch-funktionalistischen Leistungsgerüsts, mit dessen Hilfe man sowohl biologische als auch wirtschaftliche Prozesse einheitlich beschreiben kann. Aus energontheoretischer Sicht erweist sich nämlich die Welt des Menschen als eine weitere "Flora und Fauna" von "Hyperzellern", die bruchlos die der Ein- und Vielzeller fortführt.

Hass' Ansatz macht eine umfassende naturgeschichtliche Fundierung von Reichs Konzept "Arbeitsdemokratie" möglich. Im Rückgriff auf seine evolutionstheoretischen Überlegungen und mittels einer Analyse der Energieökonomie der Gesellschaft gelingt es auf diese Weise, die Orgonomie endgültig von ihrem Marxistischen "antikapitalistischen" Erbe zu befreien. Gleichzeitig können mit Hilfe der Hass'schen Theorie des "Entfaltungsstroms" Stirners Konzepte eines "echten Egoismus" und der "Empörung" gegen Fremdbestimmung konkreter gefaßt, d.h. in einen größeren naturgeschichtlichen Zusammenhang gestellt werden. Insbesondere gilt dies für die (von der Orgonometrie nahegelegte) Gleichsetzung von "Keimzelle" und "Einzigem". In diesem Rahmen erschließt die Energontheorie der Orgonomie einen differenzierteren Begriff dessen, was "Leben" und "Natur" sind.

Energie kann sich unter bestimmten Bedingungen zu lebendigen Ganzheiten (den "Energonen") zusammenballen. Damit sich dieser Akkumulations-Prozeß in einer lebensfeindlichen sich ständig verändernden Umwelt fortsetzen kann, müssen sich die Energone reproduzieren und weiterentwickeln (der Entfaltungsstrom), wobei die Umwelt den Energonen strenge Effizienzkriterien aufzwingt (die natürliche Auslese), die das Lebendige zu bloßen "Leistungskörpern" machen. Erst der in der Evolution vollkommen neuartige, nicht auf Raub, sondern auf Tausch basierende Energieerwerb der Hyperzeller (Energone aus Mensch plus dessen Maschinen) und die damit zusammenhängende Ausbildung von "Luxuskörpern", deren einzige Funktion die Energieentladung zur Erzielung von Lust ist, befreit das Leben von diesen Fesseln.

Gleichzeitig wächst mit der Entwicklung der Hyperzeller, die nicht mehr den strukturellen Beschränkungen der ersten Phase der Evolution unterliegen, der Entfaltungsstrom ins Ungeheuerliche an. Ob dieser Prozeß an seiner eigenen Dynamik zugrunde geht, hängt einzig und allein von der Triebökonomie (orgastischen Potenz) der Menschen ab; den "Keimzellen", die den Hyperzellern erst das Leben schenken. Letztendlich stellt sich die Frage, ob der Mensch mittels seiner "immateriellen" und materiellen "zusätzlichen Organe" (Orgonometrie und CORE-Technologie - als Gegensatz zum mechanistischen Denken und zur toten Maschine) die Welt lebendiger machen - die Orgasmusfunktion vollends von ihren bisherigen strukturellen Beschränkungen befreien - kann oder ob er selbst zu einem zusätzlichen Organ des Entfaltungsstroms, zu einem fremdbestimmten "Konsumenten" (der sich einbildet zu verbrauchen, tatsächlich aber selbst "verbraucht" wird) und letztendlich zu einer toten, identitätslosen Maschine wird.

Hass selbst denkt leider einseitig von der Warte dieses "leistungsfixierten" Entfaltungsstroms her und verliert dabei die organische, "bifurkative" Entfaltung des Lebendigen aus dem Auge - die funktionelle Grundlage für die Emanzipation vom Leistungsdruck des Entfaltungsstroms. Diese Lücke zeigt sich auch daran, daß Hass mit der Triebtheorie der Verhaltensforschung alle Voraussetzungen für eine funktionelle Durchdringung der Probleme vorlagen, er sie aber kaum nutzen konnte. Hätte er diesen Weg beschreiten können, würden Energontheorie und Orgonomie nahtlos ineinander passen.

 

 

Literatur

  1. Hass, H.: Expedition zu uns selbst. Das Geheimnis menschlichen Verhaltens, NATURPHILOSOPHISCHE SCHRIFTEN, Bd. 4, München 1987 (Erstausgabe 1968 unter dem Titel Wir Menschen)
  2. Hass, H.: Das verborgene Gemeinsame. Energon-Theorie I und II, NATURPHILOSOPHISCHE SCHRIFTEN, Bde. 2 und 3, München 1987 (Erstausgabe 1970 unter dem Titel Energon)
  3. Hass, H., H. Lange-Prollius: Die Schöpfung geht weiter. Neue Wege des Denkens, Stuttgart 1978
  4. Hass, H.: Der Hai im Management. Instinkte steuern und kontrollieren, München 1988
  5. Hass, H.: Die Hyperzeller. Das neue Menschenbild der Evolution, Hamburg 1994
  6. Jung, M.: "Expedition zu uns selbst", Hans Hass. Ein Leben lang auf Expedition, Stuttgart 1994, S. 249-284
  7. Hantschk, A., M. Jung: Rahmenbedingungen der Lebensentfaltung. Die Energontheorie des Hans Hass und ihre Stellung in den Wissenschaften, Solingen 1996

    die obigen Texte kann man aus dem Internet herunterladen:
    www.hans-hass.de

  8. DeMeo, J.: Saharasia, Greensprings, Oregon, 1998
  9. Freud, S.: Massenpsychologie und Ich-Analyse, STUDIENAUSGABE Bd. 9, Frankfurt 1974
  10. Ostwald, G.: Wilhelm Ostwald, Stuttgart 1953
  11. Reich, W.: Die Entdeckung des Orgons: Die Funktion des Orgasmus, Frankfurt 1972
  12. Reich, W.: Massenpsychologie des Faschismus, Frankfurt 1974
  13. Reich, W.: Äther, Gott und Teufel, Frankfurt 1983
  14. Reich, W.: Die bio-elektrische Untersuchung von Sexualität und Angst, Frankfurt 1984
  15. Reich, W.: Die kosmische Überlagerung, Frankfurt 1997
  16. Stirner, M.: Der Einzige und sein Eigentum, Stuttgart 1981
  17. Stirner, M.: Parerga, Kritiken, Repliken, Nürnberg 1986
  18. Tinbergen, N.: Instinktlehre, Berlin 1979

 

 


Fußnoten

(1) Unter die eigentliche "natürliche Auslese", die nach rein mechanischen Gesetzen abläuft, soll hier auch die "künstliche Auslese" subsumiert werden, bei der es um bewußtes Kalkül geht.

(2) Inwiefern auch der Begriff "Entfaltung" nicht zu dieser Instanz passen will, wird im 7. Abschnitt deutlich werden. Bei "Entfaltung" denkt man an einen organischen, funktionellen Prozeß, während der Hass'sche "Entfaltungsstrom" etwas grundlegend anderes ist: dem Krieg (Stichwort "natürliche Auslese") ähnlicher als dem Aufbau.

(3) Der Entfaltungsstrom ist eine Instanz, die das Individuum im Stirnerschen Sinne "enteignet". Eine Instanz, die ihre eigenen egoistischen Interessen verfolgt. Über sie läßt sich das gleiche sagen, was Stirner über die Instanz "Menschheit" schrieb: "Wie steht es mit der Menschheit, deren Sache Wir zur unsrigen machen sollen? Ist ihre Sache etwa die eines Anderen und dient die Menschheit einer höheren Sache? Nein, die Menschheit sieht nur auf sich, die Menschheit will nur die Menschheit fördern, die Menschheit ist sich selber ihre Sache. Damit sie sich entwickelt, läßt sie Völker und Individuen in ihrem Dienste sich abquälen, und wenn diese geleistet haben, was die Menschheit braucht, dann werden sie von ihr aus Dankbarkeit auf den Mist der Geschichte geworfen. Ist die Sache der Menschheit nicht eine - rein egoistische Sache?" (16:4).

(4) Es ist hervorzuheben, daß für Hass, ganz entsprechend der Argumentation Reichs (13:123-125), weder Genom noch Gehirn den unverzichtbaren, Leben konstituierenden Kern des Organismus ausmachen. Die Energontheorie führe, so Hass, zu der Schlußfolgerung, "daß auch jede steuernde Struktur (...) bloß ein Funktionsträger wie alle übrigen ist, durchaus nicht Zentrum und Herr, sondern auch nur Diener. Der wirkliche 'Herr' ist und bleibt immer die auf Energieerwerb ausgerichtete Struktur. Diese kann - zumindest in manchen Fällen - auch ohne zentrale Steuerung ihre Leistung erbringen" (2, 2. Teil:32).

(5) Die einzige Möglichkeit, dem Konflikt zu entgehen, besteht in der Spezialisierung. Zum Beispiel kann sich der eine Schuster auf Damenschuhe und Assesoires, der andere auf Herrenschuhe und Berufskleidung ausrichten. (Wir werden auf diesen Punkt im 5. Abschnitt zurückkommen.)

(6) Da wir uns mit anderen Menschen identifizieren, d.h. "mit-leiden", verhalten wir uns von Natur aus "moralisch", was die körperliche Unversehrtheit unserer Mitmenschen betrifft (12:314). (Wer das nicht tut, ist kein Mensch!) Bezüglich ihrer zusätzlichen Organe fehlen uns jedoch diese Instinkte, weshalb der Staat die Eigentumsrechte mit besonderem Nachdruck durchsetzen muß. Entsprechend werden im deutschen Strafrecht Eigentumsdelikte strenger sanktioniert als etwa Körperverletzung. Zurecht wurde bei Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuches erwartet, daß der Bürger Leib und Leben (seine natürlichen Organe) selber schützen kann, denn schließlich handelt es sich bei ihm nicht mehr um ein hilfloses Kind, zum Schutz seines Eigentums (seiner zusätzlichen Organe) jedoch den Staat benötigt. Kontaktlose, d.h. "linke", Strafrechtsreformer wollen diese vermeintliche Ungerechtigkeit beseitigen, z.B. soll der Ladendiebstahl zu einem Bagatelldelikt erklärt werden. Die gleichen Leute raßten aber schier aus, wenn es um die selbstverständlichste Sache der Welt geht: das unveräußerliche Recht eines jeden Bürgers eine Waffe zu tragen, um seine körperliche Unversehrtheit zu schützen.

(7) Das ist wohl auch der tiefere Grund für den in Ökonomie und Sexualökonomie erläuterten Wechsel vom mengenmäßig fixen Goldgeld zum Inflationsgeld, dessen Volumen ständig anwächst.

(8) Auf der Angebotsseite entfalten sich die Funktionen auf eine organische Weise. Einige werden dann von der Nachfrageseite als Leistungen abgerufen. Was dieses "Entgegenkommen" auf der einen und das "Entgegennehmen" auf der anderen Seite bedeutet, wird im 7. Abschnitt deutlicher werden.

(9) Arbeitnehmer und Parasiten können durchaus funktionell identisch sein. Man denke nur an den sprichwörtlichen "Beamten", der in einer Art sozialistischem Paradies lebt. Er ist ein extrem reduzierter Mensch, nur mehr die Karikatur eines Menschen. Entsprechend entwickeln sich Tierarten immer dann zurück, wenn sie zu Parasiten werden. Bei Angestellten und Parasiten ist der Erwerbsakt nicht mehr an das Erwerbsergebnis gekoppelt. Sie "arbeiten" für einen Pauschallohn. Sind sie "an ihr Ziel, den Körper des Wirtes, gelangt, dann fließt ihnen in einem gleichmäßigen Strom Nahrung - also Energie und Stoffe - zu" (2, 1. Teil:116).

(10) "Der hier so oft verwendete Vergleich zwischen Mensch und Keimzelle hat nur funktionelle Gültigkeit. Die Keimzellen schaffen durch laufende Teilungen den vielzelligen Körper: somit sind letztlich sie dann mit diesem identisch. Bei den menschlichen Ausweitungen bleibt dagegen die 'Keimzelle' individuell erhalten - geht also nicht selbst in die Struktur ein, die sie schafft. Sie bleibt Individuum - auch wenn dessen Individualität im Rahmen der so gebildeten Körper eingeschränkt wird. Von der Funktion her aber ist der Vergleich vertretbar: Sowohl die Keimzelle wie auch der Mensch bilden Lebensstrukturen höherer Integrationsstufe" (2, 1. Teil:72).

(11) Hier ist die Verbindungsstelle zwischen der Energontheorie und der in Ökonomie und Sexualökonomie erläuterten "orgonomischen Organisationstherapie" von Martin Goldberg. Nach Goldberg überträgt sich der Charakter eines Firmengründers auf den "Organisations-Charakter" seines Unternehmens. In der Sprache der Energontheorie prägt die menschliche Keimzelle dem von ihr geformten Hyperzeller ihr Wesen auf.

(12) Diese Aussage entspricht dem, was Stirner über die immateriellen "zusätzlichen Organe", also die Welt der Begriffe (siehe dazu die Einleitung) sagt: "Wie Du indes vom Denker, Sänger und Sprecher Dich unterscheidest, so unterscheidest Du Dich nicht minder vom Geiste und fühlst sehr wohl, daß Du noch etwas anderes als Geist bist. Allein wie dem denkenden Ich im Enthusiasmus des Denkens leicht Hören und Sehen vergeht, so hat auch Dich der Geist-Enthusiasmus ergriffen, und Du sehnst Dich nun mit aller Gewalt, ganz Geist zu werden und im Geiste aufzugehen. Der Geist ist Dein Ideal, das Unerreichte, das Jenseitige: Geist heißt Dein - Gott, 'Gott ist Geist'. Gegen alles, was nicht Geist ist, bist Du ein Eiferer, und darum eiferst Du gegen Dich selbst, der Du einen Rest von Nichtgeistigem nicht los wirst. Statt zu sagen: 'Ich bin mehr als Geist,' sagst Du mit Zerknirschung: 'Ich bin weniger als Geist, und Geist, reinen Geist, oder den Geist, der nichts als Geist, den kann Ich Mir nur denken, bin es aber nicht, und da Ich's nicht bin, so ist's ein Anderer, existiert als ein Anderer, den ich 'Gott' nenne" (16:33).

(13) Man könnte "im Sinne der Ausgewogenheit" gegenhalten, daß umgekehrt Reich einseitig nur die autonome Entfaltung der Funktionen gesehen habe, was seinen Naturbegriff merkwürdig "idyllisch" erscheinen ließ. Tatsächlich gibt es diese Tendenz bei Reich, etwa wenn er gegen den ideologischen Mißbrauch des Darwinistischen Konzeptes vom "Kampf ums Dasein" polemisiert: "Es gibt im Tierreich keine Kriege innerhalb derselben Art" (12:283). (Eine Aussage, die von der Tendenz her und sogar wörtlich genommen schlicht falsch ist!) Der "Darwinsche Nachweis" (!) der Abstammung sei "revolutionär" gewesen, während es in der "Darwinschen Hypothese" (!) der natürlichen Zuchtwahl "reaktionäre" Elemente gäbe (12:87). (Was, wie oben angedeutet, von der Tendenz her stimmt!) Andererseits wirkt eine andere Ausführung Reichs zum Thema geradezu wie eine knappe Zusammenfassung dieses Abschnitts: "Die Darwinsche Selektionstheorie entsprach der vernünftigen Erwartung, daß zwar eine Grundgesetzmäßigkeit das Leben regiert, daß jedoch dabei dem Spiel der Umwelteinflüsse breitester Raum gelassen ist" (11:32).

(14) Der Begriff "Über-Ich" taucht (soweit ich es überblicken kann) im Hass'schen Werk nur einmal auf: in seiner Diskussion über den Ursprung des "Ich" in der Funktion der Koordination und ihrer zunehmenden Zentralisation im Verlauf der Evolution. In der zweiten Phase der Evolution verlassen, so Hass, manche dieser koordinierenden Funktionen das Zentrale Nervensystem und verlagern sich auf zusätzliche Organe, steuernde Strukturen, in denen die "allgemeine Meinung", persönliche Überzeugungen und Interessen einzelner und nicht zuletzt die "Tradition" zum Tragen kommen (vgl. die Einleitung). Auf diese Weise bilde sich sozusagen eine Art kollektives "Ich" oder, wie Hass es nennt, "Über-Ich". Daß dieses "Über-Ich" durchaus mit dem psychoanalytischen Begriff des "Über-Ichs" übereinstimmt, wird offensichtlich, wenn Hass fortfährt: "Ähnlich dem Ich des einzelnen neigt auch dieses 'Ich' dazu, sich selbst als Zentrum zu betrachten, als wichtigste Einheit, um die sich alles übrige lagert [vgl. die 4. Fußnote]. Eine sehr komplexe Struktur wird so nicht selten zum eigentlichen 'Geist', zur eigentlichen 'Seele' dieser Energone - und regiert dann nicht selten jene, die sie geschaffen haben" (2, 2. Teil:47f).

(15) Folgt man den Ausführungen Reichs in Äther, Gott und Teufel entspräche dies dem objektiven "Äther" und dem subjektiven "Gott". Für Stirner ist "Gott" der "gedachte Einzige". ("Das hat eben der Religion ihre Dauer gesichert, daß sie den Einzigen wenigstens in Gedanken oder als Phrase hatte, daß sie ihn im Himmel sah" [17:155].) Entsprechend ist der Äther sozusagen das "nicht nachgewiesene Orgon" (vgl. 13:41).

(16) Im Zusammenhang mit der Energontheorie ist besonders bemerkenswert, daß Freud und Reich "libidotheoretische" Gedankengänge durchaus nicht fremd waren, die denen von Hass wohl nicht gerade entsprechen, aber ihnen zumindest ähnlich sind. Zum Beispiel führt Freud in Anlehnung an Wilfred Trotters Theorie des "Herdentriebs" aus, daß die "Herdenhaftigkeit" nicht nur eine Analogie, sondern gleichsam eine Fortführung der Vielzelligkeit sei, "eine weitere Äußerung der von der Libido ausgehenden Neigung aller gleichartigen Lebewesen, sich zu immer umfassenderen Einheiten zu vereinigen" (9:119).


zuletzt geändert
15.12.06

 

 


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